Kölner Stadtanzeiger vom 31.7.1998
Giftgasgranaten-Bunker bleiben zurück
Ende des Jahres ziehen Kampfmittelräumer in Kehr ab
—60 Millionen bisher ausgegeben
— ,,Zeitbombe" wird mit Lava, Erde und Maschendraht abgedeckt — ,,Die Altlast wird kommenden Generationen vererbt"Von unserem Redakteur Franz Albert Heinen
Hellenthal-Kehr "Das ist der unerforschliche Ratschluß von Beamten und Politikern!" Mit diesen Worten kommentierte Herbert Tauber. Chef der gleichnamigen Kampfmittelräumfirma. den Beschluß der rheinland-pfälzischen Behörden. die Entmunitionierung der Riistungsaltlast "Espagit" bei Kehr unmittelbar an der Landesgrenze zu Nordrhein-Westfalen
zu beenden. Tauber gegenüber dem "Kölner Stadt-Anzeiger"
"Das is e bisserl Quatsch."Durch die Beendigung der Granatensuche werde in der Eifel die "Abfallkippe für alle Zeiten erhalten".
Vor sieben Jahren hatte Tauber, der zuvor bereits beim Bau der Startbahn West bei Frankfurt Erfahrungen mit der Suche nach Kampfgasmunition gesammelt hatte, mit der Granatensuche auf dem Espagit-Gelände begonnen. 330 hochbrisante Giftgasgranaten aus dem Ersten Weltkrieg hat die zwanzigköpfige Tauber-Truppe seither aus dem chemisch verseuchten Erdreich geborgen und sicher zwischengelagert. Rund die Hälfte des 30 Hektar großen Werksgeländes kann inzwischen als munitionsfrei gelten.
Doch vor gut einem Jahr haben die zuständigen Behörden in Trier und Mainz alles über den Haufen geworfen. was sie noch zu Beginn der Sanierung, Anfang der 90er Jahre, als scheinbar unumstößliche Wahrheit verkündet hatten. Dieser Meinungsumschwung dürfte durch die gigantischen Kosten beflügelt worden sein. die im Falle einer kompletten Sanierung
entstehen wurden: Schon vor Jahren hatte der Staatssekretär Claus Rüter die Summe von 500 Millionen Mark in den Raum gestellt. Rund 60 Millionen wurden bislang ausgegeben. ohne daß auch nur ein Bruchteil des hochverseuchten Erdreiches gereinigt wurde.
Oberflächliche Suche
15 Hektar dabei auch der am stärksten vergiftete Kernbereich der früheren Granatenproduktion — sollen nur noch oberflächlich bis zu einer Tiefe von zwanzig bis dreißig Zentimetern abgesucht werden. Daß darunter noch zahllose Spreng- und Gasgranaten liegen, steht fest. Gleichwohl soll Ende des Jahres die Munitionssuche beendet werden.
Danach, so der Pressesprecher der Bezirksregierung, Wolfgang Hons, wird eine Art Maschendrahtzaun auf dem Boden verlegt. Er soll verhindern, daß jemand später unbefugt auf dem Gelände nach Granaten sucht, weil durch das Metall des Drahtgeflechtes Detektoren überall gleichmäßig anschlagen.
Darüber soll eine 30 bis 50 Zentimeter dicke Schicht eines Gemischs aus Lava und Erde aufgeschüttet werden. Rund um diesen flachen, künstlichen Hügel wird eine Entwässerungs-Ringleitung verlegt, um zu verhindern, daß Giftstoffe ausgeschwemmt werden.
Herbert Tauber ist nicht der einzige, der den Sinneswandel bei den rheinland-pfälzischen Behörden in Zweifel zieht. Tauber: "Das ist so, als ob man ein zwölfstöckiges Haus plant und nach dem fünften Stockwerk mit dem Bau aufhört. In solch einem Haus kann keiner wohnen."
Auch der Umweltschützer Gunther Heerwagen, der die Behördenaktivitäten rund um die Espagit-Sanierung seit vielen Jahren kritisch beobachtet, hält die neue Marschrichtung für verfehlt:
Einerseits werde die Altlast an kommende Generationen vererbt, andererseits würde durch den zinkhaltigen Zaun die Bodenverunreinigung sogar noch verstärkt.
Laut Heerwagen ist es unverantwortlich, nach dem Abzug der Kampfmittelräumer eine normale Baufirma mit der Abdeckung des Geländes zu beauftragen. Schließlich sei das Terrain immer noch munitionsverseucht. und die Bauarbeiter, die sich mit ihren schweren Geräten dorthin wagten, gingen ein erhebliches Risiko ein. Heerwagen in einem Leserbrief: "Meiner Überzeugung nach ist auch die strafrechtliche Verantwortung bei jedem einzelnen Politiker und Behördenmitarbeiter zu sehen, der mitwirkt, Menschen aus Kostengründen vorsätzlich vermeidbaren Gefahren auszusetzen."
Keine Kapazitäten mehr
Noch offen ist auch die Frage. was aus jenen 330 Senfgas-Granaten werden soll, die im gekühlten Bunker auf der Räumstelle zwischengelagert werden. "Wir hoffen", so Wolfgang Hons von der Bezirksregierung, "daß wir sie bis zum Ende der Bauarbeiten zum Verbrennungsofen der Bundeswehr nach Munster bringen können." Aber diese Hoffnung könnte trügen. denn bis auf weiteres nimmt der Bund wegen zu geringer Verbrennungskapazität in Munster keine Verbrennungsaufträge mehr an. Das bedeutet. daß auch nach dem Abzug der Tauber-Truppe Ende des Jahres für eine Bewachung der Giftgas-Bunker gesorgt werden muß.