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Kölner Stadt-Anzeiger vom 10.09.1998

Rüstungsaltlast in Kehr

Widerstand gegen die ,,Deckel"-Lösung wächst

Das Gift könnte den Kronenburger See erreichen

Von Franz Albert Heinen

 

Hellenthal-Kehr- ,,Sicherungsvariante B 2" heißt in schönstem Bürokratendeutsch die geplante Nicht-Sanierung der Rüstungsaltlast Espagit bei Kehr. Nachdem die rheinland-pfälzischen Behörden jahrelang mit horrendem Aufwand etwa die Hälfte des 30 Hektar großen Geländes der ehemaligen Granatenfabrik entmunitioniert haben, soll nun aus Kostengründen die andere Hälfte schlicht und ergreifend begraben werden:

Ein Metallgitterzaun wird auf den Boden gelegt, darüber kommen Ormonter Lava und Erde. Das anfallende Wasser soll zentral zu einer noch zu bauenden Kläranlage geleitet werden, von der das Wasser in den Seifenbach geführt wird, der wiederum in Taubkyll und Kyll mündet.

Dieser Plan stößt allerdings auf ziemlichen Widerstand, seit das offizielle ,,wasserrechtliche Erlaubnisverfahren" angelaufen ist. Aus der Euskirchener Kreisverwaltung ist zu hören, daß man einiges zu dem Vorhaben sagen wird. Der Ortsgemeinderat Hallschlag hat bereits sein Veto eingelegt. Er versagte das ,,Einvernehmen" zur Einleitung der Espagit-Abwässer in den Seifenbach. Die Verbandsgemeindeverwaltung soll vielmehr beauftragt werden, bei der Bezirksregierung Trier zu beantragen, auf das ursprüngliche Konzept (vollständige Entmunitionierung und Bodensanierung) zurückzukommen.

Der Pressesprecher der Trierer Bezirksregierung, Wolfgang Hons, geht dennoch davon aus, daß die ,,wasserrechtliche Erlaubnis" doch erteilt wird: ,,Die kann ersetzt werden, und zwar durch die Bezirksregierung", erklärte der Sprecher. ,,In Kürze", so Hons weiter, werde wohl der endgültige Beschluß zur Abdeckelung der Altlast gefällt. nachdem die wasserrechtliche Erlaubnis vorliegt.

Dagegen läuft der Birgeler Kommunalpolitiker Gunther Heerwagen Sturm. Der Grüne hält die Abdeckung für höchst untauglich, weil damit mögliche Gefahren durch Giftstoffe und Munition nicht beseitigt würden. Heerwagen hat den Hamburger Rechtsanwalt Bodo Baars, ehemals Ministerialdirigent im hessischen Umweltministerium, mit der Erstellung eines Rechtsgutachtens beauftragt. Baars, der Erfahrung mit Rüstungsaltlasten in Hessisch-Lichtenau und Stadtallendorf hat, soll feststellen, ob die Deckelung der Altlast ohne Munitionsräumung rechtlich zulässig ist. Wie zur Bestätigung Heerwagens stießen die Kampfmittelräumer kürzlich auf Erdschichten, die nur rund 60 Meter vom Haus des Bauern Klaus Quetsch entfernt sind. Dort wurden zwei Zentner TNT-Brocken geborgen. Dieser Sprengstoff ist ziemlich giftig. wenn er ins Grundwasser gelangt.

Roter Regen

Rot gefärbtes Regenwasser typisch für TNT-Kontaminationen zeigte den Anwohnern, was dort geborgen wurde. Inzwischen bedeckt eine Regenschutzplane dieses Areal. In ähnlich geringer Entfernung vom Quetsch-Haus bargen die Räumer vor einiger Zeit rund 150 Granaten, darunter 55 Giftgasgranaten mit dem Kampfstoff Phosgen. Wenn dabei etwas schiefgegangen wäre, hätten immerhin rund 50 Liter Phosgen austreten können, und das hätte für die Anwohner fatal enden können.

Heerwagen rief inzwischen auch den Bund der Steuerzahler auf den Plan, indem er auf die Kosten hinwies: 40 Millionen Mark seien bisher für die teilweise Entmunitionierung ausgegeben worden. Weitere 28 Millionen soll der Deckel kosten, ohne daß letztlich das Gelände munitionsfrei und entgiftet sei.

Schließlich gab Heerwagen bei der Verbandsgemeinde umfassende "Einwendungen" gegen die geplante Sickerwasser-Einleitung in Fließgewässer zu Protokoll. Er machte auch formale Bedenken geltend, denn weder gäbe es Einverständniserklärungen der betroffenen Grundstückseigentümer noch eine Sanierung oder Beteiligung der Naturschutzverbände. Besonders fürchtet der grüne Politiker schädliche Auswirkungen auf die gesamte Ferienregion Obere Kyll/Kronenburger See.

Daß die Espagit-Gifte in den See gelangen können, zeigten Fischsterben im Jahr 1917 in der Kvll bis hinunter nach Gerolstein. Gerade die geographische Nähe zu dem dortigen Mineralwasserproduzenten gebiete besondere Vorsicht, schreibt Heerwagen.

In ihren Antragsunterlagen zur Einleitungserlaubnis in den Seifenbach gebrauchen die Behörden den Begriff ,,kampfstoffverdächtige Munition". Diese Formulierung sei ,,verschleiernd", meint Heerwagen. Tatsächlich sei längst durch die Wehrwissenschaftliche Dienststelle der Bundeswehr nachgewiesen, daß bei der Espagit die gesamte Palette an Kampfgasmunition aus dem Ersten Weltkrieg gefunden wurde.

Weiter verweist Heerwagen auf die großkalibrige bezünderte Munition aus dem Zweiten Weltkrieg. die in Kehr ebenfalls reichlich gefunden wurde. Wenn in jenem Teil des Geländes, der nicht mehr entmunitioniert werden soll, eine 15-cm-Artilleriegranate hochgehe, könne das durchaus zu einer Massendetonation führen. Niemand könne ausschließen, daß Kampfstoffmunition austrete und sich unter der Abdichtung ausbreite, um dann möglicherweise konzentriert in der Nähe der Wohnbebauung die Dichtung zu verlassen. Durch die Abdeckung mit einem Metallgitterzaun sieht Heerwagen Gefahren für künftige Kampfmittelräumer:

Wenn eines Tages doch zu Ende geräumt würde. könnten die Räumtrupps vor lauter Metall im Boden die Granaten nicht mehr finden.

Abschließend weist Heerwagen darauf hin, daß bei einem bloßen Vergraben der Kampfstoffmunition die für das Verfahren Verantwortlichen im Schadensfall eventuell persönlich haften müßten.