Kölner Stadt-Anzeiger vom 27.Oktober 1998 (Eifelausgabe)
Blümchen sollen blühen auf den Gasgranaten
Bei Regen fließt von der Espagit TNT-haltiges Wasser Richtung Kronenburger See
Von Franz Albert Heinen
Kreis Euskirchen — Die Rüstungsaltlast Espagit bei Hellenthal-Kehr wächst den mit der Sanierung befassten rheinland-pfälzischen Behörden offenbar über den Kopf. Seit sechs Wochen fließt bei starkem Regen vergiftetes Oberflächenwasser über Bäche in den Kronenburger See. Durch die Niederschläge wird der Sprengstoff Trinitrotoluol (TNT). der im zerwühlten Erdreich der ehemaligen Munitionsfabrik Espagit liegt, ausgewaschen und vom Bergrücken herunter gespült. Letzten Endes dürfte sich das TNT irgendwann im Sediment des Kronenburger Sees wiederfinden.
Ursprünglich war geplant gewesen, das rund 30 Hektar große ehemalige Werksgelände, in dem Tausende Granaten liegen, darunter auch alte C-Waffen, vollständig zu entmunitionieren. Das erwies sich allerdings als allzu kostspielige Illusion. Mehrere hundert Millionen Mark würde das kosten.
Oberflächlich
Deshalb hat die Trierer Bezirksregierung ihr Konzept geändert: Jetzt soll der Kernbereich der Altlast nur noch oberflächlich nach Munition abgesucht werden. Dann werden Lava und Erdreich schichtweise aufgebracht und schließlich soll die ganze Fläche nach einem bereits existierenden Begrünungsplan mit Kräutern und Blümchen bepflanzt werden.
Das Oberflächenwasser soll gefaßt und in eine noch zu bauende Kläranlage eingeleitet werden. Von dort wird das gereinigte Wasser über kleinere Bäche in die Kyll und damit in den Kronenburger See geleitet werden. Das wasserrechtliche Erlaubnisverfahren ist bereits auf die Schiene gesetzt. Der Kreis Euskirchen hat seinen Segen gegeben unter der Voraussetzung, daß die angestrebten Einleitungswerte eingehalten werden. In der Übergangsphase bis zur Abdeckung der Altlast und der späteren sicheren Wasserführung ist nun allerdings ein gewaltiges Problem mit dem Oberflächenwasser aufgetreten. Durch die heftigen Niederschläge der letzten Wochen haben sich auf der östlichen Hangseite. wo zuletzt große Flächen zerwühlt wurden riesige Wasserlachen gebildet, die zunächst über eine Kreisstraße hangabwärts auf das Gelände mehrerer Landwirte abflossen.
Nach heftigen Protesten, das Wasser zeigte teilweise jene typische Rotfärbung, die auf Kontamination durch TNT hindeutete, leiteten die Trierer hektische Sicherungsmaßnahmen ein. Das Oberflächenwasser wurde notdürftig gefaßt und zurück auf das Gelände gepumpt. Von dort verrieselt das Wasser wieder talwärts und gelangt über die Abhänge in den Rügelbach und landet auf diesem Weg letztlich im Kronenburger See. Dort ist allerdings wegen der extrem starken Verdünnung keine Kontamination mehr nachweisbar.
Auf dem Weg ,von der Espagit talwärts überquert das Wasser unter anderem eine private Wiese auf der sich feste Bestandteile der schlammigen Brühe absetzten. Diese vorher nicht kontaminierte Weide weist nach mehrwöchiger Berieselung mit der TNT-Brühe nach Angaben des Ratsmitgliedes Gunther Heerwagen, von der Oberen Kyll deutlich erhöhte Sprengstoffablagerungen auf. Das Bundesumweltamt hat als oberen Grenzwert 0,2 Milligramm pro Kilo Erdreich festgelegt. Auf der Weide, auf der laut Heerwagen noch bis vor kurzem Kühe standen, seien mehrfach höhere Werte im Sediment nachgewiesen worden.
Fünffach höher
Die Untere Wasserbehörde beim Kreis Euskirchen verläßt sich auf Zahlen. die bereits vor einiger Zeit von der Trierer Bezirksregierung übermittelt wurden: Demnach liegt die Kontamination im Oberflächenwasser bei weniger als einem Milligramm TNT pro Kilo, im Sediment allerdings fünffach höher. Immerhin fühlte sich der Kreis angesichts des vom Sanierungsgelände abfließenden Wassers beunruhigt. den Trierern mit dem erhobenen Zeigefinger zu drohen: ,,Es ist unbedingt sicherzustellen, daß solche Beeinträchtigungen in Zukunft unterbleiben und das auf dem Gelände anfallende Wasser dort gefaßt und vorbehandelt wird.
Kommentar
Kölner Stadt-Anzeiger - Nr.250 - Dienstag, 27. Oktober 1998 -
Altlastensanierung
Wahrlich explosive Geschichte
Die Ruhe, mit der Behörden und Politiker im Kreis Euskirchen zusehen, ,wie die RheinlandPfälzer TNT-haltiges Wasser zum Kronenburger See laufen lassen, mutet nachgerade unheimlich an. Einem Privatmann, der auf eine so aberwitzige Idee käme, hätte die Untere Wasserbehörde längst den Staatsanwalt auf den Hals geschickt. Wieso beläßt die Kreisverwaltung es gegenüber der Trierer Bezirksregierung bei einer ,,leichten Verwarnung"?
Auch die Politik hat sich bisher zu der Ferkelei auffällig bedeckt gehalten. Ernsthafte Nachfragen bezüglich der mutmaßlich brisantesten Rüstungsaltlast in Westdeutschland - unmittelbar vor den Toren des Kreises Euskirchen - sind bislang nicht bekannt geworden. Selbst die sonst so umweltbewußten Grünen glänzten bezüglich der 1920 in die Luft geflogenen Munitionsfabrik Espagit bislang durch Ignoranz.
Der Hinweis, daß die Rheinland-Pfälzer zuständig seien, kann als Begründung für allseitige Untätigkeit nicht durchgehen. Die Altlast liegt exakt auf der Kreisgrenze. Drei nordrhein-westfälische Trinkwasserbrunnen mußten aus Sicherheitsgründen bereits abgeschaltet werden. Die Granaten, die bei der Explosion des Werks im Mai 1920 kilometerweit durch die Gegend geschleudert wurden, haben sich auch nicht an willkürliche Grenzziehungen gehalten. Sie liegen heute noch genauso auf NRW-Territorium, wie auf rheinland-pfälzischem Gelände.
Und natürlich sollte es Politiker aus der Gemeinde Dahlem und im Kreistag interessieren, wenn irgend jemand Giftstoffe in einen Bach laufen läßt, der letztlich im Kronenburger See mündet, in dessen Wasser sich jährlich zigtausende Urlauber und Einheimische erholen.
Wird Kronenburg demnächst damit werben. als einziger deutscher Erholungsort dank reichlicher TNT-Zufuhr einen explosiven See bieten zu können? Daß der Tümpel nicht der Trinkwasserversorgung dient, kann kein Gegenargument sein. Die Einleitung von Giftstoffen in Gewässer ist aus gutem Grund generell verboten.
Es bleiben Fragen über Fragen:
Ist das gesamte neue Konzept der Rheinland-Pfälzer überhaupt sinnvoll? Darf man heute sehenden Auges ein paar Schaufeln Dreck über einen Gasgranatenstapel werfen, in der vagen Hoffnung, daß schon nichts passieren wird?
Es ist nicht ungewöhnlich, daß bekannte Gefahrenpunkte aus durchschaubaren finanziellen Erwägungen auf spätere Generationen vererbt werden. Die jetzige Politikergeneration kann sich getrost zurücklehnen:
Wenn das Thema in dreißig oder fünfzig Jahren erneut auf die Tagesordnung kommt, weil die C-Waffen dann endgültig durchgerostet sind, wird man keinen der heute Verantwortlichen mehr beim Schlafittchen kriegen können. Dann wird man nur noch kopfschüttelnd in verstaubten Akten nachlesen können, daß im Zusammenhang mit der Espagit-Sanierung in den 90er Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts ziemlich viel Unsinn gemacht wurde.
F.A. Heinen