Zeitzeuge Heinrich Brodel
Heinrich Brodel (geb. 25.3.1905 /gest. 20.1.1990) begann nach Ostern 1920 im Werk eine Schreinerlehre. Seit 1918 wurden in der Werksschreinerei der Espagit einfache Möbel hergestellt.
Zuvor war als Messdiener mit dem Hallschlager Ortspfarrer Heinrich Fins und dessen Helfer Pfarrer Dr. Ludwig Nieder (1917/18), dem Bruder der Fabrikpflegerin Anna Nieder, seit mehreren Jahren fast wöchentlich ins Werk gekommen um sakrale Handlungen auszuführen.
Die Verletzten oder kranken Personen waren nahezu immer aus den Produktionsbetrieben in das Sozialgebäude verbracht worden. Als Ausnahme galt die letzte Ölung im Bereich der Gifte. Diese Säureabteilung sei nochmals eingezäunt gewesen. Die akut Verletzten wanden sich in Krämpfen und waren rotblau angelaufen, meist verstarben sie, wenn nicht wurden sie ins Krankenhaus nach Prüm oder Stadtkyll verbracht. Dazu war neben dem mit Pferd bespannten SANKA auch ein für Personen bestimmter Motorwagen (PKW) gebraucht worden. Sichtbar waren vor allem die Verfärbung von Nasenspitze und Ohrläppchen. Laut Brodel soll mit Blausäure gearbeitet worden sein. "Zitat: das Zian (Cyanwasserstoff) und es Pickerin (Pikrinsäure) hat die Leute krank gemacht.
In den Giftabteilungen war die Schicht auf sechs Stunden beschränkt und die Leute bekamen fetten Speck und Milch.
Brodel betonte, daß keine Herstellung der Substanzen erfolgte, d.h. per Bahn angelieferte Halbfertigprodukte weiterverarbeitet wurden.
Dr. Lang aus Stadtkyll hielt einmal pro Woche im Werk Sprechstunde ab und war mit dem Jünkerather Arzt Dr. Dederichs verkracht. Er stand im Ruf, vor allem sein Krankenhaus mit der Aufnahme von Patienten zu sanieren.
Brodel beschrieb ausgiebig die Verhältnisse im Frauenwohnheim.
(siehe "Bericht der Fabrikpflegerin" und Ausschnitt aus ihrem Lebenslauf 1953)
Herr Brodel hat seit seinen Jugendjahren das Gelände nur noch einmal vor dem II. Weltkrieg und noch vor den Arbeiten des RAD betreten. Da seien noch große Flächen von der Säure geschädigt gewesen, so daß nichts darauf wuchs. Er meinte, daß diese Flächen wohl zwischenzeitlich mit Erde überdeckt worden seien.
Bei einer folgenden Begehung mit mir erkannte Herr Brodel die bestehenden Gebäude sicher wieder und bezeichnete sie richtig. Verwundert war er lediglich darüber, daß im Anschluß an die Säureabteilung die Fundamente quer zur ehemaligen Straße verliefen. Er erinnerte sich an zahlreiche Baracken, die die Türöffnung Richtung Kehr gehabt hätten, mit Wällen umgeben waren und bis zur Ordnungsnummer 28 nummeriert gewesen sein sollen.
Die Baracken seien etwa 50 Meter lang gewesen, durch Erdaufwürfe getrennt. (Anm. vermutlich Bereich heutiger Fichtenwald)
Im abseits gelegenen Labor seien besondere Schuhe getragen worden.
Es seien mehrere promovierte Chemiker dort gewesen. (Dr. phil. Esser, Dr. Albrecht, Dr. phil. Ferdinand Falco, Dr. Holtz, Laborant Hartmann)
Vor dem Hallschlager Tor waren Verkaufsstände für Lebensmittel und Baracken, ebenso vor dem Kehrer Tor, am Steinbruch war sogar ein Karussell.
Nach Durchmarsch deutscher Truppen Richtung Rhein erschienen 1918 kanadische Truppen in Hallschlag, die erst nach 14 Tagen die Fabrik entdeckten, in der fleißig weitergearbeitet wurde. Munition von den Kampffeldern im Westen wurde zurücktransportiert, zerlegt und Inhaltsstoffe gewonnen. Kurze Zeit danach übernahmen die Amerikaner die Besatzung, später gefolgt von Belgiern.
Die Ausdämpfung der Munition unter amerikanischem Befehl fand bis 1920 nach seinen Angaben im Übergangsbereich von Säureabteilung und Werkstätten statt.
Undefinierbare Granaten und Zünder wären täglich im Hangbereich des "Exotentrichters" nach mehreren Hupensignalen elektrisch zur Detonation gebracht worden.
Auf dem Hang, wo heute der Hof von Quetsch ist, sollen Granaten auch auf Reissigschanzen ausgebrannt worden sein.
Brodel: "sie wußten nicht, wie man an die Zünder herangeht, die dann weit geflogen seien"
Im Werk sollten zu dieser Zeit etwa 600 Menschen Tag und Nacht gearbeitet haben.
Gewonnener Sprengstoff wurde zu Dünger verarbeitet.
Auf den Feldern sei zuerst alles hervorragend, aber dann 2 bis 3 Jahre nichts mehr gewachsen.
Schreinerlehrling Brodel war am Tag der Explosion nachmittags im großen Saal des Casinos damit beschäftigt, Girlanden aufzuhängen und Möbel herauszuholen, weil nach dem Wochenende die Belgier kommen sollten. Dann kam der Alarm und nachdem alle reichlich Zeit hatten zu Fuß nach Hallschlag und teils nach Kronenburgerhütte zu laufen, folgten die Explosionen. Zur gleichen Zeit hielt Pfarrer Fins in Hallschlag Beichttermine ab. Im Werk sollen sich zu dieser Zeit nur wenige Männer aufgehalten haben.
Ergänzend zu Brodels Mitteilung ist:
Im Grenzraum war in den Tagen große Bewegung, wohl auch wegen der Reichstagswahlen am 5. Juni 1920:
Trierischer Volksfreund vom 20.5.1920 "Die Belgier in Monschau"
In Monschau 180 Mann und in Ingenbroich 120 Mann zur Eisenbahnüberwachung eingetroffen
28.Mai "Verstärkung der Besatzungstruppen"
Am Tag der Explosion wurden deutsche aus Malmedy vertrieben TV vom 1.6.1920 "Aus Eupen und Malmedy ausgewiesen" Aachen 31.5. "Hier sind gestern 130 Familien, die aus Eupen und Malmedy ausgewiesen wurden, eingetroffen, nachdem vor einigen Tagen bereits 300 deutsche Familien eingetroffen waren.
Landeszeitung, 28.Mai 1920, "...sie (Franzosen) setzten im Saargebiet schon Grenzsteine"
Brodel mutmaßte, die Explosionen könnten Sabotage von deutschen Patrioten gewesen sein, damit die Belgier das Werk nicht bekämen. Nach der Explosion war das Gelände mehrere Tage wegen glimmender Brände nicht begehbar. Seit Wochen war nämlich starke Hitze und Trockenheit gewesen.
Schreinerlehrling Brodel war am Tag der Explosion, 29.Mai 1920 nachmittags im großen Saal des Casinos auf der Kehr damit beschäftigt, Möbel herauszuholen, weil nach dem Wochenende die Belgier kommen sollten. Dann kam der Alarm und nachdem alle reichlich Zeit zu flüchten hatten, flog die Espagit mit mehreren heftigen Explosionen in die Luft.
Auf Tonband habe ich Herrn Brodel 1988 interviewt:
Zu 1918
Zuerst sind Kanadier in Hallschlag eingerückt. Nach einigen Tagen haben sie gejagt an den dortigen Teichen und fragten, was sind das dort oben auf dem Berg für Gebäude.
Dann haben die die Amerikaner alarmiert, dann ging es da oben rund. Ein toller Betrieb war das damals. Das Werk soll bestehen bleiben, das brauchen wir zur Entmunitionierung.
Was da oben lagert, ist hierhin transportiert worden, aus Belgien und so weiter. Und dann wurde entmunitioniert und das Material, Stahl ,Kupferringe und Zünder vor allen Dingen, die wurden zurück von der Front gebracht. Das war Beutegut.
Zu 1920
Da liefen aber vorher Vereinbarungen, sollte Belgien das Werk übernehmen. Denn an dem Tag als das Werk in die Luft flog, da war der Meister und ein Geselle und ich im Werkscasino damit beschäftigt, die Möbel da raus zu räumen und das Casino ganz leer zu machen für die belgische Abordnung die in den nächsten Tagen eintreffen würde, um das Werk zu übernehmen. Das war damals eine klare Sache. ...War das.
Ja, da ist es dann nicht mehr dazu gekommen. An dem Nachmittag wo wir drei, der Meister, und ich beschäftigt waren beim Räumen. Dann haben wir geräumt, waren dann beim Räumen. Der Meister war noch reingegangen ins Werk in die Werkstatt rauf, und die bestand damals alles noch. Unberührt das ganze Werk bis zur Weiterführung.
Rund um das Werk war damals Heide gewesen,
20-30 Morgen.
Dann war es rohe Heide. Es war 'ne Stelle dort. da stand 'ne Villa, hat damals gestanden. Die haben Engländer von der Botschaft in Köln da gebaut, mitten in der Heide. Dort, mitten in der Heide. ohne jede Zufahrt und ohne alles, nur eine provisorische Zufahrt von der Kehr aus. Ob das man, nahm an, wenn ich den Vater so mit dem Pastor sprechen hörte, nahm man an das wäre ein Störungsobjekt gegen das Munitionswerk.
das war vor 1914.
Wär' ein Störungsobjekt, denn ein Munitionswerk mußte soundsoviel Meter von jedem Haus weg sein. Aber da ist dann, wie der Krieg ausbrach nicht danach gefragt worden.
Das Ding ist beschlagnahmt worden und hat dann immer leer gestanden, denn wer wollte da hin ziehen.
Später haben sie es ausgeplündert. Da war sogar von hier noch zwei Eifler mit dran beteiligt, die Möbel rausgeholt und so weiter.
Na ja, das sind lange vergessene Zeiten.
(Anmerkung: auf den topographischen Karten der damaligen Zeit ist ein Haus "zu Losheim" eingetragen. Später habe ein Fabrikangehöriger dort gewohnt, dessen Töchter in Losheim zur Schule gingen.