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Presseerklärung vom 27.März 1995

Gunther Heerwagen/Hauptstraße 32/54587 Birgel/Tel. 06597-3665/Fax-4896

 

Zur Munitionsfabrik ESPAGIT Hallschlag/Kehr

Vergessene Vergangenheit? "...oder, unter den Tisch gekehrt?"

Im Jahre 1984 war ich, bei der Sichtung potentieller schützenswerter Biotope an Westwallbunkern, auf Gemäuer vor dieser Zeit gestoßen. Befragungen von Anwohnern ergaben, daß dort mal eine "Pulverfabrik" gestanden habe. Als ich in einem Buch die Zahl von 2000 Beschäftigten aufgeführt fand, dachte ich zunächst an einen Druckfehler. Bei weiteren Recherchen verdichtete sich für mich der Verdacht, daß, bei soviel Beschäftigten mit erheblichen chemischen Rückständen im Boden zu rechnen sei. Auf dem Gelände selbst fielen mir Stellen auf, wo selbst nach 70 Jahren nichts wachsen wollte. In Erwartung, daß es, aufgrund einer jahrelangen Verdrängung der ansich bekannten Problematik des Geländes, einen langen Weg bis zur Sanierung bedürfe, versuchte ich mich mit freundlicher Hilfe von außerrheinlandpfälzischen Experten in der Thematik "Rüstungsaltlasten" sachkundig zu machen.

Ein erster Hinweis an die Bezirksregierung Trier erfolgte im Sommer 1987 in einer Stellungnahme als Naturschutzverband. Seitens der Sachbearbeiterin wurde diese Erwähnung mit Vermerk an die Fachabteilung Kampfmittelbeseitigung zur Kenntnis weitergeleitet, ohne, daß eine Tätigkeit dieser Abteilung erfolgt ist.

Am 11. November 1987 veröffentlichte die Kölnische Rundschau "GRÜNE wollen wissen, was bei Kehr produziert wurde", ... da von anderen Standorten nachhaltige Boden- und Wasserverseuchungen durch den Sprengstoff TNT bekannt seien. Es erfolgte keine behördliche Reaktion.

Mittlerweile fertigte der Dokumentarfilmer Dietrich Schubert seinen Film "Das Dampfroß kommt", wo der Anwohner Peter Haep auch von der Giftgas- und Munitionsfabrik "Op Kehr" berichtete.

Im April 1988 erahnten so Journalisten, daß eine enorme Altlast für sie jahrelanges Thema werden würde und starteten mit Berichten.

Intensive Forschungen in Archiven, weit über die Bemühungen von Landesbehörden hinaus, konnten in den Folgejahren das Bild über die Eifler Rüstungsschmiede, die durch heftige Explosionen am 29. Mai 1920 zerstört wurde, abrunden.

Wenige Wochen zuvor, bereits am 12. April 1920, flog um 14.00 Uhr in Stolberg bei Aachen die Düngerfabrik "Schippan" in die Luft. Ein Trichter von 25 bis 30 Meter Durchmesser und 5 Meter Tiefe zeugte von der Heftigkeit des Ereignisses, das 22 Tote forderte und neben den Werkswohnungen noch 87 Häuser ganz beschädigte. Dorthin waren Sprengstoffe aus Hallschlag zur Aufarbeitung verbracht worden, die bei der seit 1917 stattfindenden Entlaborierung von Sprengkörpern anfielen.

Im August 1919 mußten "eilbedürftig" auf Befehl des amerikanischen Generals Allen (Drs. 12/565) zweihundert Sack Hochofenzement zum Bau von (gewissen) Öfen nach Hallschlag geliefert werden um die Befehle des Generals ausführen zu können. (engl. Befehl: "certain ovens") Bisher ist über den Zweck und die Standorte dieser Öfen nichts bekannt geworden.

Laut Zeitungsberichten flüchteten im April und Mai 1920 zahlreiche Deutsche aus dem durch Belgier angegliederten Gebiet von Eupen-Malmedy nach Deutschland. In Akten des Auswärtigen Amtes wird zur gleichen Zeit von Bestrebungen der Aktionäre der ESPAGIT Binhold (Köln) und Hoesch (Stahlwerke Düren) berichtet, die beabsichtigten, das Gebiet von Hallschlag, Scheid, Ormont und Neuenstein mit Belgien zu vereinigen. Erst nach der Zerstörung des Werkes durch die Explosion wurde von dieser Planung abgelassen, das Werk auf Kriegsgewinnlerseite zu bekommen und weiter produktiv nutzen zu können.

Aufgrund dieser Sachlage wird nicht auszuschließen sein, daß die Explosion im Mai 1920 aufgrund von Sabotage deutscher Patrioten erfolgt sein könnte.

Die ESPAGIT und die Nachfolgefirma EIAG befanden sich seither, bis einschließlich 1989, in Liquidation.

Ein seit 1924 nachweisbarer Aktieneigentümer ist die Firma Josef Meissner aus Köln "Anlagenbau für die chemische Industrie und Sprengstoffindustrie". Meissner erwarb in den sechziger Jahren Restaktien und durch Kauf etwa 12 Hektar des Geländes. Wenig ernsthaft beabsichtigte die Firma 1960 eine pyrotechnische Fabrik auf dem Gebiet zu errichten, ließ aber erstaunlich schnell von dem Vorhaben ab. Sie kaufte aber trotzdem 1967 für 50 000 DM einen großen Teil des Werksgeländes und verpachtete das Grundstück an Landwirte als Viehweide. Aufpasser, Schilder und Zaun kündeten drohend Neugierigen "Betreten verboten".

Die das Gelände durchschneidende Kreisstraße Kehr-Scheid wurde in diesen Jahren aus dem Gebiet herausgenommen und an die Begrenzung verlegt.

Ab 1936 war das bis dahin Ödland gewesene Gebiet um das Werksgelände landwirtschaftlich urbar gemacht und Bauern angesiedelt worden. Laufend wurden, nach Berichten von Landwirten, bei der Feldarbeit auf dem Gebiet Granaten gefunden und nach dem Zweiten Weltkrieg dem Kampfmittelräumdienst übergeben. Von Oktober bis Dezember 1967 wurden sogar auf einer Privatparzelle Entmunitionierungsarbeiten durch den rheinland-pfälzischen Kampfmittelräumdienst durchgeführt und erkleckliche 967 Kilogramm an Munition gefunden. Jegliche Weitersuche nach der unverkennbaren I.Weltkriegsmunition auf den angrenzenden Flächen ist aber erstaunliche Weise unterblieben.

Verwunderlich ist dagegen, daß im März 1993 laut der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage (Drs. 12/2663 ) seitens der Landesregierung festgestellt wurde, daß nie vor 1991 Auffälligkeiten in Hallschlag bei Munitionsfunden festgestellt worden waren. "Erst ab 1991 wurde dort Munition aus dem Ersten Weltkrieg gefunden. Der Kampfmittelräumdienst verfügt über die erforderliche Sachkunde, auch im Hinblick auf kampfstoffverdächtige Munition", so Umweltministerin Klaudia Martini.

Wie die Landesregierung in einer weiteren Anfrage (11/5052) einräumen mußte, waren die Fachkundigen des Kampfmittelräumdienstes im März 1990 zufälliger Weise bei der Sichtung ihrer Bestände in ihrem Lager Helenenberg bei Bitburg auf kampfstoffverdächtige Granaten des I.Weltkrieges aus dem Fundzeitraum 20.Januar 1987 bis 1.März 1990 gestoßen, welche die Experten einem Fundort nicht mehr zuordnen konnte. Die Auswertung von 18 Röntgenaufnahmen ergab dann 8 kampfstoffverdächtige Granaten.

Vehement dementiert wurden dagegen seitens der Behörden im gleichen Jahr 1990 (Drs. 11/3973 vom 12.April 1990 und 11/4327 vom 17.Juli 1990) Behauptungen grüner Landespolitiker, daß bereits anfangs der achtziger Jahre Kampfstoffgranaten (Giftgase) durch den Kampfmittelräumdienst in einem Westwallstollen bei Körperich mit übriger Munition gesprengt worden seien.

Nachweislich am 31.6.1988 waren auf dem Werksgelände der Espagit, unmittelbar nach einem Medientermin in dem mittels einer Probebaggerung quer zur ehemaligen Werksstraße die Unbelastetheit des Bodens demonstriert worden war, etwa zwei Dutzend Granaten, bar jeglicher Sicherheitsmaßnahmen, durch den Kampfmittelräumdienst ausgebaggert worden.

Der Kölner Stadtanzeiger konterte die Behauptung der erstmaligen Funde ab 1991 mit der Veröffentlichung eines bereits im Mai 1988 publizierten Fotos von mit damals im Viehtritt gefundenen I.Weltkriegsgranaten.

Der nordrhein-westfälische Kampfmittelräumdienst hatte bereits vom 17. August bis 19. August 1988 mit allerdings ergebnislosen Sondierungen und Probebaggerungen begonnen, stellte diese Arbeiten und beabsichtigte flächenhafte Absuchung aber auf Intervention der Rheinland-Pfälzer ein.

Nachdem anfangs Mai 1991 der Pressesprecher der scheidenden CDU-Landesregierung, Jo Dietzen, gegenüber Medienvertretern, ankündigte, die Entsorgung von Hallschlag sei wegen der enormen Kosten auf unbestimmte Zeit verschoben, machten Granatenfunde an Pfingsten (17.Mai) ein Handeln der Dienstags erstmals tagenden neuen SPD-Landesregierung erforderlich. Die Freihandvergabe der Räumung durch die Privatfirma Tauber wurde beschlossen.

Schließlich bleibt zu erwähnen, daß letztlich 1979 im Flächennutzungsplan der Verbandsgemeinde Obere Kyll die seit 1914 bestandene "gewerbliche Fläche" ohne Widersprüche der Grundstückseigentümer in offensichtlich geringerwertige "land- und forstwirtschaftliche Fläche" umgewandelt worden war. Gras konnte wachsen!