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Gunther Heerwagen, Hauptstraße 32, 54578 Birgel

 

Betr.: Bericht der Fabrikpflegerin Anna Nieder über die von ihr angetroffenen Verhältnisse und ihre bisherige Tätigkeit auf den Eifler Sprengstoffwerken.

 

Anmerkung:

Anna Nieder schildert nahezu literarisch die Zustände im Werk an eine vorgesetzte Behörde. Wer zwischen den Zeilen liest, kann sich ein zutreffendes Bild über die wahren Zustände im damaligen Werk machen, deshalb bin ich der Meinung, daß dieser Bericht es aufgrund seines Informationsgehaltes, als Zeitdokument, verdienen sollte, ungekürzt veröffentlicht zu werden.

Ich bitte mir bald mitteilen zu wollen, ob dies möglich sein wird.

Mit freundlichem Gruß

 

 

Gunther Heerwagen

 

Munitionsfabrik Hallschlag/Kehr

Bericht der Fabrikpflegerin

Seit einigen Jahren ist die I.Weltkriegsgranatenschmiede bei Hallschlag/Kehr wieder in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt.

Bei der bevorstehenden über Jahre dauernden Sanierung müssen neben verunreinigtem Erdreich auch Munitionsfunde unschädlich gemacht werden.

Das Werk produzierte von 1914 bis 1918 Artilleriemunition und war bis zu einer großen Explosion am 31.5.1920 auch Delaborierungsstelle für Giftgasmunition von den Kampffeldern der Westfront.

Ein Förderer des christlichen Gewerkschaftsgedankens, der Priester Dr. Ludwig Adrian Nieder (geb. 1.Mai 1880 in Bexbach/Saarland / gest. 7.Febr. 1922) und seine Schwester Anna Catharina Nieder (geb. 18.11.1874 in Mittelbexbach/Saar, gest. 4.04.1957 in München) wirkten ab 1917 auch in Hallschlag.

Gesichert ist, daß Ludwig Nieder dem Ortspfarrer Fins bei der seelsorgerischen Betreuung der etwa 2000 Munitionsfabrikarbeiter/innen half und gewerkschaftlich-soziales Engagement zeigte.

In einem 1953 von ihr niedergeschriebenen Lebenslauf ihres Bruders berichtet Anna Nieder, daß sie mit 1000 Mark Weihnachtgratifikation, die sie 1917/18 als Fabrikpflegerin im "Eifler Sprengstoffwerk" erhielt, ihrem Bruder finanziell bei der Begleichung ererbter Schulden helfen konnte.

Aus Anna Nieders Hallschlager Zeit, wo sie im Gasthaus Igelmund wohnte, ist ein 14-seitiger schreibmaschinengeschriebener Bericht von Anna Nieder an die Frauenarbeits-Nebenstelle des Kriegsamtes vom 30.Juni 1917 überliefert, der die Zustände im Werk (sicherlich etwas geschönt) wiedergibt:

Bericht der Fabrikpflegerin Anna Nieder über die von ihr angetroffenen Verhältnisse und ihre bisherige Tätigkeit auf den Eifler Sprengstoffwerken.

"Am 1. Juni habe ich auf den Eifeler Sprengstoffwerken meine Tätigkeit als Fabrikpflegerin begonnen. Nach der von mir gemachten Feststellung beschäftigt das Werk gegenwärtig 420 weibliche Arbeitskräfte, deren Zahl täglich wächst.

Meine Dienstaufgaben ergeben sich aus den von der Königlichen Regierung aufgestellten Richtlinien. Die Tätigkeit erstreckt sich auf eine solche innerhalb und außerhalb des Betriebes.

A.) Außerhalb des Betriebes: Sie umfaßt alle der Wohlfahrtspflege dienenden Einrichtungen.

B.) Im Allgemeinen: Sie erstrebt die kulturelle Hebung der Arbeiterinnen, erstreckt sich auf Beratung und Hilfsleistungen in verschiedenen Anliegen, Wohnungs- und Wöchnerinnenfürsorge, sowie die Fürsorge für die Kinder der Arbeiterinnen.

A.1.) Die gesundheitlichen Verhältnisse im Betrieb.

Der schädliche Einfluß auf die Gesundheit der Arbeiterinnen, wie einmal in der Natur der chemischen und der Sprengstoffindustrie liegt, ist in den einzelnen Betrieben sehr verschieden. Am schädlichsten sind die Einwirkungen der giftigen Gase und Dämpfe in der Bizolabteilung. Hier ist nur eine sechsstündige Arbeitszeit. Die notwendigsten Schutz- und Hilfsmaßnahmen sind vorhanden. Es wird streng darauf geachtet, daß alle dort beschäftigten Personen einen Respirator tragen. Die Ventilation funktioniert sehr gut. Für Bodenfeuchtigkeit, Reinhaltung des Bodens und Entfernung des Kehrichts ist gut gesorgt.

In den Tagen großer Hitze, wo es einige Male vorkam, daß Arbeiterinnen von Unwohlsein befallen wurden, nahm die Krankenpflegerin dieselben sofort in entsprechende Behandlung und Pflege. Wie ich mich täglich öfter überzeugt, war die Versorgung mit Milch und kräftigem Essen eine gute und auch die Pflege unter Beachtung größter Reinlichkeit und guter Durchlüftung des Krankenzimmers eine durchaus zufriedenstellende. Die Mädchen erholten sich sehr bald und nahmen auf eigenen Wunsch nach ärztlicher Untersuchung die Arbeit meist an der alten Stelle wieder auf. Das Heben oder vielmehr Schieben der achtzigpfündigen Granaten wird oft mit einer gewissen Leichtigkeit gehandhabt. Nur in einem Falle klagte eine Arbeiterin über Beschwerden nach dem Heben. Der Arzt schickte sie ins Krankenhaus zur Beobachtung.

Was die Wasserversorgung betrifft, so ist dieselbe manchmal etwas schwierig. An einigen Tagen stockte die Mineralwasserlieferung. Auf meine Anregung wurden sofort für alle Betriebsabteilungen Trinkwassergefäße mit Deckel angeschafft. Kochendes Wasser zur Kaffeebereitung steht in den Betrieben stets zur Verfügung. Die Lieferung von frischer Milch ist im allgemeinen sehr befriedigend und ich habe beobachten können, daß die Betriebsleitung sich um ausreichende Versorgung und gerechte Verteilung sehr bemüht.

In Fällen, wo ich um Erleichterung für eine Arbeiterin mit Meister oder Vorarbeiterinnen Rücksprache nahm, wurde mit großer Bereitwilligkeit meinem Vorschlag entsprochen.

In der Pikrinabteilung, wo die Staubentwicklung groß ist und als unangenehme Begleiterscheinung die gelbe Hautfarbe hervorruft, hängt es sehr oft von den Mädchen selbst ab, sich mehr oder weniger rein zu halten. Der Mangel an guter Fettseife, das Fehlen von leinenen Waschlappen ist ja wohl ein Umstand, der mit zu rechnen ist, wenn gerade die im Pikrin beschäftigten Mädchen allzu gelb sind. Betriebsleitung und Meister lassen es an Mahnung und Verweis nicht fehlen. Ich selbst dringe bei jeder Gelegenheit darauf, daß sie sich gründlich waschen, damit der Staub von der Haut entfernt wird. Auch die an der Presse beschäftigten Mädchen werden angehalten zur Beobachtung der Vorsichtsmaßregeln; die beim Kleben beschäftigten werden einer anderen Tätigkeit zugewiesen, wenn das heiße Paraffin die Hände angegriffen hat. Zweimal habe ich durch Pikrinsäure hervorgerufenen Hautausschlag festgestellt. In einem Falle fand eine Überweisung zu einer anderen Arbeit statt, im anderen wurde die Heilung mit Puder versucht. Wie mir der Arzt sagte, hat er öfter schon Ichthyolseife verordnet. Öfter habe ich bei den Pikrinarbeiterinnen starke Magenanschwellungen feststellen können. Wenn der Arzt es für besser hielt, daß die Betreffenden eine andere Arbeit nahmen, wurde von der Betriebsleitung die Überweisung gegeben. Um die schädliche Einwirkung des Pikrinstaubes etwas zu verhindern, haben wir eine Schutzvorrichtung eingeführt. Es sind Mullsäckchen, die mit Watte leicht gefüllt sind und locker vor den Mund gebunden werden, sodaß auch die Nasenöffnung bedeckt ist. Jüngeren Mädchen ist es zu umständlich und lästig, ältere und Frauen, die vernünftig sind, tragen sie gern und sind sehr befriedigt von dem Erfolg.

Bei aller Rücksichtnahme und weitgehendem Entgegenkommen ist es jedoch nicht immer möglich, jedem Wunsch der Mädchen entgegenzukommen in der Besorgnis für ihre Gesundheit. Da es gibt es oft solche, die jede Woche den Arbeitsplatz wechseln möchten. Ich habe welche kennen gelernt, die konnten bald dies, bald jenes nicht vertragen und abends waren sie im Gasthaus, wo ich noch vorläufig wohne, tanzten und rauchten bis tief in die Nacht. Leider muß ich es bei aller sozialen Gesinnung doch gesagt werden, daß die Ungebundenheit der Mädchen, die eigene unhygienische Lebensweise, der Mangel an Ruhe und zweckmäßiger Erholung, die selbstverschuldete schlechte Körperpflege, der unzulängliche Wechsel der Leibwäsche, das Tragen von Stiefeln mit hohen, schiefgetretenen Absätzen und die vielfach durch Entbehrung geschwächte Widerstandsfähigkeit des Körpers als Hauptursachen von Erkrankungen mit in Anrechnung zu bringen sind. Jedenfalls wird in dieser Beziehung noch ein großes Stück Erziehungsarbeit zu leisten sein.

2.) Die sittlichen Verhältnisse.

Was diesen Punkt betrifft, so konnte ich bis jetzt innerhalb des Betriebes keine Beobachtung machen, die zu Klagen Veranlassung geben könnte.

B.) Als Wohlfahrtseinrichtungen außerhalb des Betriebes sind zunächst die Unterkunftsräume für die im Betrieb beschäftigten Arbeiterinnen anzusehen. Es sind solche bei der Pikrinabteilung und solche bei der Granatabteilung im Mädchenheim, der sogenannten Russenbaracke vorhanden.

In der Pikrinabteilung ist für 44 Mädchen Schlafgelegenheit, die notwendigen Waschvorrichtungen und Schränke. Ein Aufenthalts- oder Tagesraum ist ebenfalls vorhanden.

In jedem der Räume herrscht Ordnung und Reinlichkeit. Die Durchlüftung des Schlafsaales war mir etwas ungenügend und wurde hier durch eine Abänderung der Fenster Besserung geschaffen.

die Badeeinrichtung bei der Pikrinabteilung ist sehr schön und wird fleißig benützt, an bestimmten Tagen von Arbeiterinnen und an bestimmten Tagen von Arbeitern.

Der Umstand, daß in der genannten Abteilung eine gute Aufsicht für die Putzfrauen und die Arbeiterinnen vorhanden ist, ließ hier von Anfang an wohl keine Unordnung einreißen. In der Russenbaracke, oder wie ich doch lieber sagen möchte "Mädchenheim" habe ich trostlose Zustände angetroffen. Würde ich alles, was und wie ich es angetroffen habe, bis ins einzelne berichten, würde es mich zu weit führen und könnte mir ausgelegt werden, als wollte ich kritisieren. Im allgemeinen muß ich aber feststellen, daß ich Unreinlichkeit und Unordnung allenthalben angetroffen habe. Es waren in dieser Zeit auch keine tüchtigen Wärterinnen dort, ferner sind im Mädchenheim gerade diejenigen Elemente, die am schwersten an Ordnung und Reinlichkeit zu gewöhnen sind. Die Disziplinlosigkeit erschwert es auch den Wärterinnen sehr, Ordnung und Reinlichkeit durchzuführen. Die Aufsicht, die ein sehr tüchtiger Mann, Herr Meiss, dort führte, beschränkte sich mehr darauf, zu kontrollieren, ob keine Arbeiterinnen in der Baracke sind, die zur Arbeit sollten, oder solche, die längst entlassen waren und um ganz grobe Ungehörigkeiten zu beseitigen.

In den 4 Wochen, in welchen ich hier tätig bin und täglich größere und kleinere Besserungen durchführen konnte, habe ich mich Tag für Tag gefragt, ob in diesen Zuständen jemals eine sichtliche Änderung eintreten wird. Um eine bessere Übersicht zu ermöglichen, will ich die einzelnen Räume des Mädchenheims durchgehen.

Zunächst Zugang und Umgebung.

Es gibt in der Wirtschaft keinen Gegenstand und keinen Abfall, inkl. alte Kleidungs- und Wäschestücke, die sich im Laufe der Zeit an der Russenbaracke und hinter derselben nicht aufgehäuft hätten und vor allem beseitigt werden mußten.

Schlafräume.

Fünf Zimmer mit Betten und Schränken in der Anzahl von 6 bis 16 sind als bessere Unterkunft geschaffen. Diese Räume sind für die große Anzahl von Betten und Schränke zu eng, die Lüftung zu mangelhaft. Da Mädchen in verschiedenen Schichten beschäftigt sind, liegen über Tag immer einige in den Betten und oft nicht gerade so, daß dieselben einen schönen Anblick gewähren. In diesen Zimmern wird gekocht, gegessen, gewaschen, Wäsche getrocknet, sich frisiert, geraucht und in halbem Anzug herumgewirtschaftet. Die Bretter aus den Betten zerhacken sie im Zimmer, das Stroh aus Betten wird im Ofen verbrannt. Wie es in einem solchen Zimmer, das eher ein Zigeunerlager sein könnte, aussieht, das ist leicht zu erraten. Diese kleine Einzelschilderung soll nur andeuten, wie schwer es halten wird, bis man hier einigermaßen Ordnung schaffen kann, um den Mädchen die Wohltat einer besseren Lebensbedingung zu bieten.

Die größere Abteilung der Schlafräume lassen mit Ausnahme ungeordneter Betten weniger Unordnung aufkommen, sind auch besser zu lüften. Der stete Wechsel der Mädchen, die ungleiche Arbeitszeit erschweren auch hier die Durchführung der Ordnung. Man kann auch nie recht feststellen, ob diejenigen, die in den Betten liegen, von der Nachtschicht sind oder solche, die Nachts geschwärmt haben und am Tag schlafen. Für diejenigen die Nachtschicht hatten, ist der fortwährende Lärm solcher, die kommen und gehen eine große Störung in der notwendigen Ruhe. Für das, was ich tun konnte, habe ich gesorgt, für Reinlichkeit. Die Strohsäcke wurden geleert, gewaschen, frisch gefüllt. auf den Schränken und unter denselben wird täglich rein gemacht. die Öfen wurden gewichst und die Böden werden jede Woche zweimal geputzt, an anderen Tagen feucht aufgenommen.

Die Waschgelegenheiten sind gut, doch ist auch hier ein steter Kampf zu führen gegen den Unfug, die Leibwäsche und Arbeitskleider in den Waschschüsseln zu waschen.

Die Abortanlagen.

Die erste Arbeit, die auf meine Anordnung vorgenommen wurde, war eine gründliche Reinigung der betreffenden Orte. Boden und Wände sowie die Gruben wurden mit desinfizierender Lösung bespritzt und die Wände frisch angestrichen mit Kalkmilch. Da die Gruben offen sind, ist es schwer, den üblen Geruch zu bannen, daher habe ich eine Änderung beantragt, die durchgeführt wird, sobald die Notklosetts zu benutzen sind.

Krankenzimmer.

Für diejenigen Mädchen, die von plötzlichem Unwohlsein befallen werden, aber voraussichtlich nur kurze Zeit zur Wiederherstellung bedürfen, ist ein Krankenzimmer mit 11 Betten vorhanden, sowie ein Zimmer mit Badeeinrichtung.

Die hier vorgefundenen Mißstände sind beseitigt und die dort beschäftigte Krankenschwester hält auf Reinlichkeit und Ordnung.

Aufenthalts- und Erholungsräume.

Ein großer Saal, der sich bei der Baracke "Mädchenheim" befindet und in einem ziemlich schlechten Zustand war, wurde durch einen alten schmutzigen Herd ganz verusst wurde, wird gegenwärtig hergerichtet, daß er wirklich dem Zweck, den Mädchen ein Erholungsraum zu sein, dienen kann. In diesem Saal wird eine schöne Küchenecke geschaffen, wo auch einigen Mädchen Kochuntericht erteilt werden kann, im übrigen Gelegenheit gegeben ist zum Kochen von Kaffee, Milch, Eier und sonstigen Speisen.

Ein Büchergestell mit Lesestoff, ein großer Tisch und Bänke bieten Gelegenheit, sich durch Lesen zu unterhalten. Außerdem sind noch Tische und Bänke vorhanden sowie Zuglampen angebracht worden, damit die Mädchen sich auch mit Handarbeiten beschäftigen können.

Eine Nähmaschine ist bereits bewilligt und hoffe ich bis der Raum eingerichtet ist, wird auch dieses wichtige Möbelstück eintreffen. Für den nötigen Stoff müssen wir dann noch sorgen, daß die Mädchen sich Schürzen und die so notwendigen Hemden nähen können. Ich hoffe, daß der Raum, wenn alles fertig ist, von den Mädchen gern aufgesucht wird und Ihnen Gelegenheit bietet, sich nach des Tages Arbeit einige Stunden in heiterem Kreise zu erholen und den Genuß erlaubter Lebensfreude der unwürdigen Schwelgerei vorzuziehen.

Leseraum - Bibliothek.

Das von der Frauenarbeitsnebenstelle mir übersandte Schreiben betr. Anschaffung einer Bibliothek habe ich der Betriebsleitung vorgelegt. Herr Generaldirektor war seither dienstlich verreist und ich habe noch nichts darüber erfahren können. Einige Tage vor Eintreffen des Schreibens habe ich um Anschaffung von Lesestoff schriftlich ersucht, was bewilligt wurde und bei Eröffnung des Erholungsraumes jedenfalls zur Benutzung stehen wird.

Ein an den betr. Saal anstoßendes Zimmer habe ich für eine Bibliothek ins Auge gefaßt, doch muß zuvor für die 16 dort stehenden Betten ein anderer Raum geschaffen werden. Es ist viel schwerer das einzuführen, was in städtischen Verhältnissen eine Kleinigkeit bedeutet.

Badeeinrichtung.

In der Pikrinabteilung sind schöne Badeeinrichtungen vorhanden, welche, wie schon berichtet, viel benutzt werden. Beim Mädchenheim waren bis jetzt nur Duschbäder vorhanden. Jetzt sind auch hier einstweilen drei Wannenbäder eingerichtet worden, welche sehr wahrscheinlich um weitere drei vermehrt werden, wenn dieselben geliefert werden können. Ich hoffe, daß mit der Badeeinrichtung dann auch eine bessere Körperpflege möglich sein wird. Gerade die Körperpflege ist das dunkelste Kapitel, von all den trüben Erscheinungen die ich hier angetroffen. Daß es bei vielen Mädchen Ungeziefer gibt, ist selbstverständlich und es bedarf großer Überwindung hier täglich öfter durch persönliche Überzeugung der Sache auf den Grund zu kommen und Besserung zu schaffen. Der Mangel an geeigneten Waschmitteln ist ja wohl auch hier mit ein Grund, daß die Wäsche so schlecht imstande ist und die Körperpflege soviel zu wünschen übrig läßt.

Speiseanstalt und Verkaufstelle.

Die zur Massenspeisung eingerichteten Küchenräume sind sehr beschränkt. Regelmäßig mache ich dort einen Besuch und bespreche mich mit dem Personal, das jedem guten Rat und jeder Anregung, die auf Sachkenntnis gründen, zugänglich ist. Das Essen ist durchweg gut. Die Kantine, die in Privathänden ist [Anm. Gasthaus Marfante], habe ich noch nicht besucht, da ich nicht weiß, ob ich dazu befugt bin.

Meine Besuche in der Verkaufsstelle verschaffen mir Einblick in die Aufbewahrung und Verteilung der den Arbeitern und Arbeiterinnen zustehenden Lebensmittel. Kleinere Mängel, die ich beanstandet, wurden bereitwilligst beseitigt und die Besuche, die ich dort gemacht, hatten den Erfolg, daß ich wirklich eine viel sachgemäßere Aufbewahrung, größere Reinlichkeit, Ordnung und freundlichere Behandlung der Leute beobachten konnte. Auch hier wird jeder Hinweis auf die Notwendigkeit der Zufriedenstellung der Leute als im Interesse der Arbeitsleistung gerne angenommen.

Waschanstalt.

Diese dient in erster Linie zu Reinigung der gesamten Bettwäsche, der Hauswäsche, die es im Betrieb gibt, sowie der Arbeitskleidung. Es wird auch eine große Anzahl Männerhemden und Leibwäsche von Mädchen gewaschen. Um sämtliche Wäsche zu waschen ist der Betrieb nicht eingerichtet. Wenn die Mädchen wirklich alle einmal über die notwendige Leibwäsche verfügen, daß sie regelmäßig wechseln können, dann müßte eine Sonderabteilung für Reinigung der Leibwäsche geschaffen werden. Ein großes Hemmnis ist aber hier der öfter eintretende Wassermangel. Außerdem ist das Wasser sehr eisenhaltig, sodaß weiße Wäsche eine vollständig rötlichgelbe Farbe bekommt.

Die Wohn- und Schlafgelegenheiten in Dörfern.

Eine größere Anzahl von Mädchen und Frauen sind in den benachbarten Dörfern untergebracht oder sind auch aus den betr. Dörfern und kommen nur zu Arbeit in die Fabrik. Durch Besuche in den Dörfern habe ich festgestellt, daß die Mädchen dort gut untergebracht sind. Sie zahlen gewöhnlich ein Schlafgeld von 2 bis 3 M pro Woche, schlafen aber öfter zu zweien, jedoch sind in diesem Falle sehr breite Betten vorhanden. Die Zustände scheinen überall befriedigend zu sein, denn Ortsgeistliche und Bürgermeister, bei denen ich Besuch gemacht, haben mir nichts nachteiliges berichtet. Auch Mißstände, wie sie auf den Eisenbahnstrecken des Siegtales herrschen, konnte ich auf meinen Wegen und Fahrten nie beobachten.

C.) Was die Fürsorge für die allgemeine kulturelle Hebung der Arbeiterinnen betrifft, so schließen die bereits genannten Wohlfahrtseinrichtungen manches schon ein. Ein geistiger, materieller und religiös-sittlicher Hinsicht ist hier kaum etwas geschehen und in der Tat, es ist bei der Qualität des größten Teiles des Menschenmaterials sehr schwierig. Es sind so viele, die seit Jahr und Tag jeder Autorität entglitten sind, vollständig losgelöst von Familienbeziehungen und besserem Einfluß und ohne jede höhere Lebensauffassung. Zur geistigen Förderung und Hebung des Verständnisses für die Bedeutung der munitionsarbeit ist der Anfang gemacht durch die Verteilung und Einführung der vom Kriegsamt unterstützten Zeitschrift "Im Heimatdienst". Daneben wird dann andere gute Literatur aufgelegt, durchgesprochen und in zwanglosem Zusammensein auch die Gelegenheit benützt, um sonstige wissenschaftliche Belehrung zu geben und unaufdringlich über Gesundheits- und Körperpflege sowie hauswirtschaftliche Dinge zu sprechen. In einem Vortrag: "Frauenkraft und Frauenglück im Krieg und Frieden", den mein Bruder gehalten, wurden ernste Worte gesprochen über die Bedeutung der Frauenarbeit, über die Persönlichkeit der Frau als Vorbedingung für Frauenglück und späteres Familienglück. Auch das Sparen wurde sehr betont in seiner Bedeutung für Altersversorgung und eigene Familiengründung. Einen praktischen Erfolg werden wir aber erst dann bekommen, wenn eine gute Sparkasse bequeme Einzahlungsmöglichkeit bietet. Besonders am Zahltag sollte ein Sparkassenschalter offen sein von einer Kreissparkasse oder Genossenschaftskasse. Auf diese Weise wäre mancher Verschwendung und Vergeudung des sauer verdienten Lohnes vorzubeugen und dem Alkoholgenuß und Zigarettenrauchen zu steuern. Daß manche Mädchen den ganzen Lohn im Schrank verwahren oder mit sich herumtragen, reizt viele zum Diebstahl. Bei dem üblichen sich gegenseitigen Anschließen der schlechten Elemente entstehen häufig Zank, die aus gegenseitiger Ausnützung hervorgehen z.B. leihen, gemeinsames Benützen der Kleider, Stiefel, Schmucksachen usw. Von edler Kameradschaft kann man da nicht sprechen. Es gibt freilich auch Erscheinungen von guter Kollegialität und Hilfsbereitschaft.

Um die religiös-sittliche Hebung wird es wohl auch besser bestellt werden, wenn einmal, wie in Aussicht steht, ein Sonntagsgottesdienst (Notgottesdienst) eingerichtet ist.

Ich hoffe zuversichtlich, daß es mit der Zeit gelingen wird, auch an Einzelpersönlichkeiten heranzukommen und so doch manche von den schädlichen Einflüssen zu bewahren. Die Schaffung eines geeigneten Erholungsraumes an der Russenbaracke wird die Vorbedingung werden für die allgemeine Fürsorge der Arbeiterin und die Erfassung der Persönlichkeit. Eine Einführung einer geregelten Hausordnung, deren Beobachtung unter Aufsicht einer älteren, zuverlässigen Frau zu stellen ist, wird hoffentlich auch im Mädchenheim eine Wendung zum Besseren bringen.

Mit der allgemeinen kulturellen Hebung ist dann auch die Grundlage gegeben für Arbeitstüchtigkeit und Kraftwürdigung der Arbeit und Gewissenhaftigkeit im Beruf.

In der Fürsorge für Wöchnerinnen wurde ich bisher noch nicht in Anspruch genommen. In verschiedenen anderen, persönlichen Anliegen konnte ich schon des öfteren Rat und Hilfe erteilen. Für die Unterbringung von Kindern der Arbeiterinnen konnte ich manches tun und war Herr Pfarrer Fins von Hallschlag mir in zwei Fällen zur Unterbringung der Kinder behilflich. Die Unterbringung der Kinder ist durch die Verhältnisse sehr erschwert und es ist eine große Mühe und Arbeit auf den Dörfern solche Kinder unterzubringen. Ich wäre sehr dankbar, wenn ich von der Frauenarbeitsnebenstelle einige Adressen von Anstalten im Regierungsbezirk Trier erfahren könnte, wo Kinder von Arbeiterinnen aufgenommen werden können.

In vorzüglicher Hochachtung

ergebenst

gez. Anna Nieder

Fabrikpflegerin

Betriebsleitung: gez. Dr. Falco

 

Ich danke für persönliche Mitteilungen: Hans-Joseph Britz, Autor des Buches: <"Bergmannapostel - Arbeiterfreund - Volksredner- Pfr. Dr. Ludwig Nieder">

 

Personalia:

Anna Nieder begann im Alter von 40 Jahren auf Initiative ihres Bruders und Heinrich Braun (beide leiteten die Zentralstelle des größten katholischen Vereins "Volksverein für das katholische Deutschland" mit Sitz in Mönchengladbach), 1919 trat sie an die Spitze des "Berufsverbandes katholischer Hausgehilfinnen Deutschlands" in München, den sie 34 Jahre leitete.

Sie war Trägerin des preußischen Verdienstkreuzes und des bayrischen Ludwigskreuzes.