Abschrift:
Bericht der Polizeiüberwachungsstelle Hallschlag, den 16.7. 1920 "Betr. Explosion auf dem Werk Hallschlag" am 29.5.1920
Das Werk Hallschlag war eine Zerlegungstelle. Es handelte sich um die Aktiengesellschaft "Espagit" und befinden sich die Aktien in Privathänden.
Die Munition war von amerikanischer Herkunft und wurde unter Aufsicht der amerikanischen Besatzungsbehörden ausgeschlachtet.
Am Samstag den 29. Mai ds. Jrs. nachmittags von 3 Uhr ab fanden auf dem Werk mehrere gewaltige Explosionen statt, die die ganzen Werksanlagen durch Luftdruck und Brand zum Teil zerstörten oder stark beschädigten. Die Entstehungsursache lässt sich nicht mit Bestimmtheit feststellen, soll sich aber wie folgt zugetragen haben:
Aus einer Granate, die ein Arbeiter zum Einsetzen in die Ausdampfdüse über den Ausdampftisch hielt, fiel Feuer, welches wohl durch Zersetzung der Granatfüllung entstanden war. Hierdurch wurden zunächst die an dem Ausdampftisch haftenden Explosionstoffe entzündet, was kurz darauf die Explosion der schon auf dem Ausdampftisch stehenden Granaten zufolge hatte. Von der Fabriksirene wurde sofort ein langanhaltendes ,,Gefahrsignal" gegeben, sodass sich die Arbeiter und Bewohner des Werkes bevor grössere Explosionen entstanden in Sicherheit bringen konnten, hierauf ist es auch zurückzuführen, dass keine Menschenleben zu beklagen sind, und nur ein Arbeiter durch Sprengstück am Kopf schwer verletzt wurde. Dieser Mann ist während den Explosionen in das Werk hineingegangen, ohne hierzu beauftragt zu sein.
Durch die Explosion der auf dem Ausdampftisch stehenden Granaten wurden sogleich die nächststehenden Gebäuden in Brand gesetzt, unter anderem die frühere Granatenfüllstelle, hier erfolgte wieder eine heftige Explosion. Diese entzündete sofort die Trifabrik, vor allen Dingen das so gefährliche Waschhaus. Die weiteren Zündstellen, die nun sichtbar wurden, liessen sich durch grosse Trockenheit erklären, denn wo ein Splitter hinflog, entstand Brand. In weitem Umkreise brannte auch die Heide.
Nach einiger Zeit erfolgte eine dritte sehr starke Explosion, die von einem langandauernden Regen von Balken und Steinen , vor allen Dingen glühender Granaten begleitet war. Der Luftdruck war ein gewaltiger. Hier waren mehrere grosse Stapel von Granaten zur Explosion gekommen. Der Brand und die Explosionen schritten jetzt von einem zum anderen Gebäude fort und es erfolgte wiederum eine schreckliche Explosion. Gegen 7 Uhr abends liessen die Erscheinungen des Brandes und auch die Anzahl der Explosionen nach. An ein Löschen war bei der grossen Gefahr nicht zu denken, auch war schon bei der ersten Explosionen die Wasserleitung zerstört.
Von der Werksanlage ist nichts mehr in Takt, völlig zerstört sind:
Die ganze Pikrinanlage, die Granatfüllstelle, die Trifabrik, bestehend aus: Trockenanlage, Umkristallisierung, Waschhaus, Nitrierhäuser, Säure-Einstellung, Säure-Eindampfanlage, Denitrierung und Zylinderstation. Letztere ist mit ihren 16 Zylindern von 8m Höhe und 2,30 m Durchmesser völlig vom Erdboden verschwunden, ferner wurden zerstört und durch Brand vernichtet: das Maschinenhaus, das Kesselhaus, das Magazin mit seinem über eine Million Mark bewerteten Lagerstand, die Schreinerei mit ihrem grossen 1lolzvorrat, sowje der ganze bedeutende Kohlenvorrat. Das Hauptbüro, die Schlosserei und das Laboratorium sind durch den Luftdruck sehr stark beschädigt.
Die Arbeiterwohnungen, Meisterunterkunftsräume, sowie die grosse Massenspeisung sind durch den Luftdruck völlig zusammengebrochen.
Die Beamten-Wohnhäuser sowie deren Inhalt sind sehr stark beschädigt.
Der Schaden der Firma incl. Aufräumungsarbeiten soll ca. 20-25 Millionen Mark betragen.
Die in der Umgebung des Werkes liegenden Ortschaften haben durch die Explosion ebenfalls sehr stark gelitten, der Sachschaden ist von Sachverständigen auf ca. M 500.000,- geschätzt worden.
An Reichseigentum war vorhanden und ist vernichtet worden:
"28 Fässer Dicyiandiamid, ferner eine unbekannte grosse Zahl Ammonsalpeterfässer in Holz und eiserne Mauserfässer verschiedener Größe, eine grössere Menge Papiergarnituren für Pikrinkörper sowie Pappbüchsen dazu eine grössere Zahl Munitionskisten der Pulverfabrik Spandau gehörend, 10 Stück Eisenbahn-Güterwagen ausgebrannt und sehr stark beschädigt. Das umfangreiche dem Reich gehörende Telefonnetz und viele Apparate sind völlig zerstört, desgleichen eine kleine Strecke des vom Reiche gemieteten Eisenbahn-Oberbau-Materials.
Bundesarchiv Potsdam, Bestand 22.01, Nr. 4504,
Bericht der Polizeiüberwachungstelle Hallschlag vom 16.7.1920 über das Explosionsunglück bei Hallschlag am 29.05.1920, Blatt 5-6
(dieser Aktenauszug wurde mir freundlicher Weise durch Herrn Dipl. Ing. Wolfram König zur Verfügung gestellt, der ihn einem Archiv der damaligen NOCH-DDR gefunden hatte.)