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Text aus 1992, zu weiteren im Zusammenhang mit Hallschlag von mir entdeckten Rüstungsaltlasten

 

Obwohl seit einigen Jahren auch Behörden notgedrungen auf der Spur von Rüstungsaltlasten aus beiden Weltkriegen sind, findet nur Weniges von dieser Seite Eingang in die Berichterstattung der Medien. Es überwiegt Schweigen, Verdrängung und auch manchmal Inkompetenz bei der Verwaltung der Hinterlassenschaft der beiden Weltkriege. Druck machen hier immer wieder Bürger und Initiativen wie die IRA (inoffizieller Untergrund-Dachverband der örtlichen Initiativen Rüstungsaltlasten bzw. Informationsnetzwerk Rüstungsaltlasten)

Bezeichnend ist z.B. die Aussage eines Vertreters rheinland-pfälzischer Behörden (Dr. Hans-Christian Gaebell, Landesamt für Gewerbeaufsicht) auf einem Rüstungsaltlastenkongress in Offenbach im Januar 1992, der in einem Referat über die Delaborierungs-Altlast Hallschlag-Kehr, mit der Autorität des Amtes, sagte: "Wohin diese `Düngemittel' verbracht wurden, ist heute nicht mehr nachzuvollziehen."

Dabei wird einfach nicht genügend nach Unterlagen in Archiven gesucht! (ansich eine Aufgabe des Bundes!)

Meine private und zu Gunsten der GRÜNEN durchgeführte Rüstungsaltlastenforschung ergibt hingegen ein immer genaueres und netzartiges Bild der damaligen Zustände bei der Verwertung von Granaten und Sprengstoffen an verschiedenen Orten.

Wenn auch momentan in Juntersdorf (nahe Euskirchen) die Behörden bisher nur das Lagern von Granaten einräumen müssen und Sprengtrichter erkannt haben, die sie nicht untersuchen wollten, so sollte doch einmal anschaulich berichtet werden, wie es in der damaligen Zeit in der Region in Bezug auf eine "geordnete Entsorgung" der Überbleibsel des I. Weltkrieges aussah. Die Zeitzeugen sind leider nahezu ausgestorben!

Am 29.Mai 1920 explodierte die von mir vor 1987 entdeckte Munitionsfabrik in Hallschlag/Kehr. Momentan ist dort die größte und kostenintensivste Munitionsräumstelle Deutschlands bzw. sogar Europas oder der Welt.

Noch 1979 wurde im Flächennutzungsplan die seit 1914 bestandene "gewerbliche Fläche" in "land- und forstwirtschaftliche Fläche" umgewandelt. Behörden wußten entweder nichts oder ignorierten bewußt heute nicht mehr zu leugnende Gefahren.

Düngerfabrik "Schippan" explodiert

Wenige Wochen zuvor, bereits am 12. April 1920, flog um 14.00 Uhr in Stolberg die Düngerfabrik "Schippan" in die Luft. (Fotos im Düsseldorfer Staatsarchiv, Akte Reg. Bez. Aachen 14 105) Ein Trichter von 25 bis 30 Meter Durchmesser und 5 Meter Tiefe zeugte von der Heftigkeit des Ereignisses, das 22 Tote forderte und neben den Werkswohnungen noch 87 Häuser ganz beschädigte. Der Bürgermeister von Eilendorf schreib am 23 Mai 1920 "Gleich nach dem Unglück hat sich ein Hilfsausschuß gebildet, der sofort mit Sammlungen begonnen hat. Sie haben 411 676 Mark ergeben. ...//...Schuld an dem Unfall ist jedenfalls den Firmen Schweitzer und Oppler und Schneider zuzumessen, welche das Ammonal in so unvollkommener Weise zerkleinerten und mit anderen Bestandteilen mischen ließen" heißt es in der alten Akte lapidar.

Schweitzer und Oppler aus Berlin, waren aber zu dieser Zeit im ehemaligen Artilleriedepot Westhoven in Köln (200 Arbeiter, , Explosion am 27.Februar 1919 um 3 Uhr , 13 Tote, 14 Schwerverletzte, Explosion durch Gewitter 28.4.1922 (siehe Kölner Stadtanzeiger vom 1.Mai) und auf der ESPAGIT in Hallschlag mit der Zerlegung von Munition beschäftigt.

In einer anderen Akte schrieb am 12. Mai 1920 der Regierungspräsident aus Trier an den Minister für Handel und Gewerbe in Berlin. "Die Sprengstoffabrik ESPAGIT in Hallschlag hat im vergangenen Jahre für die Firmen Schweitzer und Oppler in Berlin und die Firma Sekuritas in Bochum Entlaborierungsarbeiten von Granaten ausgeführt. zu den für die Firma Schweitzer und Oppler ausgeführten Arbeiten äußert sich die ESPAGIT folgendermaßen." -----"Im Juni 1919 übernahmen wir im Lohnvertrag die Entladung der von der Firma Schweitzer und Oppler in Berlin von der amerikanischen Heeresverwaltung in Coblenz käuflich erworbenen Beutemunition. Unter dieser Beutemunition waren rund 20 Tonnen Ammonalladungen. Diese wurden von der Firma S & O als deren Eigentümer durch den auf unserem Werk anwesenden Herrn Nachschön als Kunstdünger infolge ihres Stickstoffgehaltes an die Landwirtschaftskammer in Bonn verkauft. Vor dem Versand dieser Sprengladungen wurde der an den Sprengladungen befindliche TNT-Körper entfernt. Die Ammonalladung wurde mittels Holzstampfer zerkleinert und mit Sand gemischt....//...

Die sämtlichen zum Versand gekommenen 21 Waggonladungen wurden durch die Firma S & O an die Station Hermülheim bei Cöln zur Verfügung der Landwirtschaftskammer Bonn aufgegeben. Mit der Verarbeitung und dem Verkauf dieser Sprengladungen als Kunstdünger hat unsere Firma nicht das geringste zu tun....//..."

Genaueres über die Düngergewinnung auf der ESPAGIT in Hallschlag sagt eine andere Akte, die aber in der selben Sache (Anmerkung: viel glaubwürdiger!) von 100 Tonnen spricht, die der Landesprodukte- und Düngerhändler Schneider aus Hermülheim bei Bonn erwarb.

"Papphülsen der Ammonalkörper wurden mit Taschenmessern aufgeschnitten und mit Holzstampfern zerkleinert. Als diese zerbrachen, wurden mit eisernen Hämmern von ca. 8 Pfund auf Eisen- und Zementplatten der Sprengstoff zu Stücken in Faustgröße und darunter zerschlagen.

Es befanden sich in den Bodenstücken Papphülsen umgebene Körper von gepresstem roten Phospor in einer Länge von 10 cm und einem Durchmesser von 4 cm.

Diese Rauchentwickler wurden beiseite getan.

Der Rest wurde mit Kainit (Anmerkung: Kalisalz), anderen Substanzen und Sand gemischt und in offene Waggons verladen und später als "Kaliammonsalpeter" verkauft.

16 Waggons gingen nach Düsseldorf, weitere an die Firma Statz in Brüggen (Erft) und einer an einen Händler in Belgien.

Dieser Waggon wurde an der Wucherabwehrstelle Aachen (Grenze) beschlagnahmt und an die Firma Schippan in Stolberg mit der Bitte zugesandt, das grobstückige Material wieder streufähig zu machen."

Ein Bericht des Chemischen Untersuchungsamtes Aachen vom 25.April 1920 erklärt die Ursache der Explosion in Stolberg durch die Lagerung des Materials auf großen Haufen. "Es ist nicht ausgeschlossen, daß, wenn Rauchentwickler sich in dem Material befanden, auch Pikrinsäure-Initiale vorhandengewesen sein kann. Die Reaktion zwischen Ammonal und Pikrinsäure bei Gegenwart von Feuchtigkeit kann allmählich vor sich gegangen sein und hat die Zersetzung jedenfalls ihren Höhepunkt erreicht, als die Leute mit dem Wiedereinladen in den Waggon beschäftigt waren. Inzwischen habe ich erfahren, daß seinerzeit in den Nahkampfmitteldepot in Neuwied (Ergänzung: die Sprengstoffe) Donarit und Perdit mit Kalisalzen vermischt und als Dünger verkauft worden sind. (Anmerkung: Neuwied: Von mir 1989 wiederentdeckt als gerade in Erschließung befindliches Industriegebiet; bisher geborgene Munitionsmenge über 25 Tonnen, das entspricht der durchschnittlichen halben Jahresmenge an Munitionsfunden in ganz Rheinland-Pfalz)