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Einfalt (oder "Dummheit") schützt vor Strafe nicht
Mildes Urteil für Spion aus Kehr
Äußerste Milde walten ließen die Bundesanwälte Duensing und Dr. Gieg und der Vierte Strafsenat des Oberlandesgerichtes in Düsseldorf im Spionageprozess gegen einen seit 1990 deutschen Staatsbürger am 10. und 11. Mai 1995. Der sich selbst als syrischer Palästinenser bezeichnende dreiundvierzigjährige Arzt Rafat Ramahi, der seit 1991 auf der Rüstungsaltlast Hallschlag als Rettungs- und Dekontaminationsarzt und schon seit 1986 auf Giftgasräumstellen bei der Firma Tauber beschäftigt war, hatte noch einmal Glück im Unglück gehabt. Im November des Vorjahres war er unter Spionageverdacht in Haft genommen worden. Bei Besuchen von Heerwagen bei Ramahi waren auf dessen Schreibtisch Unterlagen aufgefallen, die nicht zum Arbeitsgebiet gehören konnten, darunter der Bauplan einer aktuell in Israel gebauten Bremsfallschirmbombe. Davon hatten Israelis Wind bekommen und das Weitere ergab sich.
Der Vorsitzende Richter Dr. Klaus Wagner, der, mit der Bewältigung von mehr als 140 Spionagefällen in seiner Laufbahn, in Justizkreisen Rekordhalter auf diesem Gebiet war (er verhandelte auch gegen den Kanzlerspion Günter Guillaume, den verräterischen Verfassungsschützer Klaus Kuron und den DDR-Geheimdienstchef Markus Wolf), erkannte, daß dieser letzte Fall vor seinem Eintritt in den Altersruhestand (65. Geburtstag am vergangene Sonntag), sich einigermaßen von den allen anderen bisherigen Fällen unterschied.
Ein Jahr Gefängnis auf Bewährung, 10 000 DM Geldbuße und drei Jahre Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte, lautete das Urteil des aus fünf Richtern bestehenden Senats am dritten Verhandlungstag des ursprünglich auf vier Tage angesetzten Prozesses.
Auf die Schliche, daß sich in Hallschlag-Kehr, auf dem Gelände der Rüstungsaltlast aus dem Ersten Weltkrieg, möglicherweise ein Spion tummelte, war eine "besonders zuverlässige und besonders schutzwürdige Quelle" gekommen, so der Bericht eines Direktors des Kölner Verfassungsschutzes als Zeuge. Diese Quelle, von der selbst der spionageprozess- und geheimdiensterfahrene Richter betonte, daß er sie nicht nennen dürfe, aber "diese immer sehr viel richtig gewußt habe" (Anmerkung des Autors: möglicherweise könnte so der MOSSAD, der israelische Geheimdienst beschrieben werden), teilte dem Bundesverfassungsschutz bereits handfeste Observationsergebnisse und die Absichten des sich selbst als alkoholkrank bezeichnenden Arztes mit, Informationen über lasergesteuerte Waffen an einen syrischen Botschaftsangehörigen zu liefern. Nach dem G-10-Gesetz (Abhören von Telefonaten mit der Genehmigung eines Ausschusses des Bundestags), wurde Ramahi seit 24.5.1993 rund um die Uhr telefonisch überwacht und auch observiert. Aufgrund der Auswertung zahlreicher überwachter Telefonate wurde festgestellt, daß er immer wieder dem mit ihm befreundeten (gleichaltrig, gleiche Stadt, gleiche Schule) syrischen Botschaftssekretär Said Issa Informationen über Waffen und Waffensysteme anbot und bei Treffen auch geliefert hatte. Dabei verwendeten sie Deckworte wie "Handbälle" für Handgranaten, "Waschmaschine" für ein militärisches Funkgerät, Baujahr 1961, mit vorhandenem Schaltplan, welches Ramahi, unbemerkt beschattet, auf dem Flohmarkt im nahen Losheim-Hergersberg (Belgien) gekauft hatte.
Doch der syrische Botschaftssekretär Issa wollte von dem Arzt ganz anders geartete Informationen. Den autoritären syrischen Staat interessiert vielmehr, wie sich Oppositionelle in der BRD und z.B. die Moslembruderschaft in Aachen (Fundamentalisten) verhalten. Solche Informationen zu liefern lehnte der Kehrer Arzt, wie er dem Gericht glaubhaft machen konnte, immer kategorisch ab. Einmal hatte er versprochen, den syrischen Geheimdienstmann mit einem Syrer bekannt zu machen, der vor Jahren mit einem MIG-Düsenjäger geflohen sein sollte. Als er feststellte, daß dieser in Syrien zum Tode verurteilt war, stoppte er sofort die Informationen. Dies bestätigte ein jetzt arbeitsloser ehemaliger Arbeitskollege auf der Räumstelle in Hallschlag, der nach eigenen Worten, unmittelbar vor der Gerichtsverhandlung, aus einer Alkoholenziehungskur zurückgekommen war, überzeugend.
Bis zum November 1993 lieferte der Spion aus Kehr Unterlagen der Bundeswehr für Feuerwerker an seinen syrischen Geheimdienst. Meist lagen diese Unterlagen über Zünder und Granaten des Ersten und Zweiten Weltkrieges frei zugänglich in den Büroräumen oder in dem Leitstand des Camps, teils erbat er sich einzelne Hefte über moderne Waffensysteme (Darunter auch Patriot, Sidewinder, Hawk, Nike, TOW) von einem äußerst arglos anmutenden Arbeitskollegen. Dieser Zeuge bezeichnete die Unterlagen über todbringende Waffen vor Gericht als "interessante Bettlektüre für Erwachsene".
Daß diese Dinge wert sein sollten, an einen fremden Geheimdienst weitergegeben zu werden, hat den mittlerweile in Hallschlag abgezogenen ehemaligen Bundeswehrfeuerwerker angeblich sehr überrascht.
Dabei war bereits Anfang 1993 dem verantwortlichen staatlichen Kampfmittelräumer Willi Wehrhausen, der in Hallschlag seitens der Landesbehörden die Firma und die Räumstelle zu beaufsichtigen hat, ein in seinem Büro stehender Aktenkoffer Ramahis aufgefallen, der für ihn, für Hallschlag absolut unrelevant, Unterlagen über modernen Lenkwaffen und Panzerabwehrraketen enthielt. Kurz zuvor, am 5. Dezember 1992, hatte darüberhinaus der Arzt, laut Eintrag im Wachbuch, das Camp auf der Räumstelle und das eingezäunte Gelände der ehemaligen Munitionsfabrik in Schutzanzügen besucht. Dabei war er in Begleitung eines syrischen Arztes und eines anderen zivil gekleideten Mannes gewesen, der sich gegenüber dem dortigen Wachmann Ulrich Mattler als "Militärattaché" bezeichnet hatte.
Beide Sachverhalte, so der staatliche Aufpasser Willi Wehrhausen, habe er damals unverzüglich mündlich seinen Vorgesetzten gemeldet. An den Zuständen im Camp änderte sich aber offensichtlich nichts. Diverse Unterlagen, insgesamt rund 30 Aktenordner über Munitionsdaten, bis in die neueste Zeit, waren für jedermann dort jederzeit zugänglich. Selbst der Kopierer dazu wurde kostenlos angeboten. Aufgrund seiner auch auf dem Gelände durchgeführten von Behörden tolerierten aber rechtlich illegalen Tierversuche mit Kaninchen hatte Ramahi auch außerhalb üblicher Arbeitszeiten Zutrittsgründe und Möglichkeiten.
Insgesamt ergab die Beweisaufnahme, daß der Angeklagte zahlreiche Arbeitshefte für Feuerwerker beziehungsweise die Kopien weitergegeben hatte.
Kein Anhaltspunkt ergab sich dafür, daß der Arzt seinem Geheimdienst einen für diesen sicherlich interessanten Mitarbeiter in Hallschlag benannt hat. Der jetzt 44 jährige Chemiker Dr. Wolfgang Seidel war nämlich bis 1989 bei der NVA (Nationalen-Volksarmee) der DDR im Entlohnungsrange eines Oberstleutnants mit der Erforschung und der Synthese von Kampfstoffen (Giftgasen) beschäftigt gewesen. Der Strafsenat und auch die beiden Bundesanwälte in ihren roten Roben stellten durch geschickte Fragen schnell fest, daß Motiv des Angeklagte ein "Lebenstraum" war. Er wollte, nachdem er in der Bundesrepublik viel Geld verdient hatte, immerhin bekam er für jeden Arbeitstag in Hallschlag 750 DM, nach Syrien zurückkehren und dort ein "Feldlazarett für arme Leute" aufbauen. Das Ansehen als Wohltäter und Arzt wollte er dann genießen. Dazu konnte ihm, so dachte er,
helfen, wenn ihm der syrische Staat und der Geheimdienst freundlich gesonnen wäre. Obwohl er von Anfang an wissen mußte, daß er mit Geheimdienstleuten verkehrte, bot er diesen freiwillig ihm zugängliches Material an, weigerte sich aber glaubhaft, ihm bekannte syrische Arztkollegen auszuspitzeln. Die Syrer hatten ihn keineswegs in der Hand, um ihn irgendwie zur Spionage zu erpressen. Obwohl er Jahre auf der Grenzfandungsliste stand, konnte er unbehelligt nach Syrien einreisen und hatte auch darüberhinaus dort Kontakt mit hohen Geheimdienstmitarbeitern, darunter einen Nachbarn seiner Eltern, einem General.
Als der Geheimdienstmann Issa aus Bonn immer wieder Namen von Syrern wissen wollte, kam es im November 1993 zum privaten Streit mit Ramahi. Obwohl die Überwachung bis zur Verhaftung Ramahis am 26. Oktober 1994 erfolgte, war keine weitere Spionagetätigkeit mehr festzustellen. Der Syrer Issa wurde, nachdem der Botschafter, auch durchaus unüblich, dessen Geheimdiensttätigkeit am 6.7.93 gegenüber dem Auswärtigen Amt bestätigt hatte, erst im Frühjahr 1994 von der syrischen Botschaft abgezogen.
Da durch die frühzeitige und gründliche Überwachung des Spions durch den Verfassungsschutz der Bundesrepublik Deutschland und auch Personen kein Schaden entstanden ist, konnte das Urteil so milde ausfallen.
Dies erkannte auch der Verurteilte. Nach Schluß der Verhandlung ging er, die Hand ausstreckend, auf den Vorsitzenden Richter zu und sagte ihm vernehmlich "danke". Auch die Beisitzer wünschten ihm per Handschlag, daß er die Lehre und gegebene Chance zur Bewährung erkennen würde. Selbst den beiden Anklägern (die schon für Prozessbeobachter unerwartet niedrig) auf ein Jahr und sechs Monate sowie 20 000 DM Geldbuße plädiert hatten, dankte der Verurteilte per Handschlag und freute sich, daß er, nach den für ihn unermesslich harten 199 Tagen der Untersuchungshaft, wieder auf freien Fuß kommen würde.
Der Angeklagte nahm das Urteil sofort an. Rechtskraft erlangt es allerdings erst, wenn die Bundesanwaltschaft auch binnen einer Woche auf ein Rechtsmittel verzichtet. Die beiden Bundesanwälte konnten offensichtlich bei der Milde ihres menschliche Schwächen berücksichtigenden Plädoyers und des noch milderen Urteils des Senats keine derartige Erklärung abgeben und setzten sich deshalb unverzüglich mit ihrer gepanzerten Luxuslimousine nach Karlsruhe zur Berichterstattung bei ihren Vorgesetzten in Bewegung. (Es ist aber zu erwarten, daß das Urteil bald Rechtskraft erlangen wird, bzw. noch am gleichen Tage rechtskräftig werden konnte.)