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Kölner Stadt-Anzeiger vom 10.3.1993

Seit wann wurden Granaten gefunden?

Innenministerium gab offensichtlich falsche Antwort

Von unserem Redakteur Franz Albert Heinen

Hallschlag/Kehr - Ganze Granatenstapel fanden die Bürger im Dreieck zwischen Kehr, Hallschlag und Losheim in den vergangenen sieben Jahrzehnten. Die ursprünglich zur Verschrottung auf riesigen Haufen gelagerte Munition war im Mai 1920 bei einer verheerenden Explosion im Espagit-Werk in weitem Umkreis verstreut worden. Auch 73 Jahre nach dem großen Knall finden sich alle Nase lang diese typischen meist unbezünderten Munitionskörper auf Feldern und Wiesen. Bis zur Landesregierung in Mainz scheint sich das allerdings noch nicht herumgesprochen zu haben. Wie sonst wäre die Behauptung des Innenministeriums von Rheinland-Pfalz zu verstehen, daß bei Hallschlag erst ab 1991 Munition aus dem Ersten Weltkrieg" gefunden worden sei.

Das ist jedenfalls der Antwort des Innenministeriums auf eine kleine Anfrage des grünen Abgeordneten Dr. Harald Dörr zu entnehmen.

Die Antwort ist ganz offensichtlich falsch. Die Landwirte, die seit den 30er Jahren den ehemaligen Sicherheitsstreifen rings um das Espagit-Werk beackern, haben immer wieder diese unbezünderten Granaten gefunden.

Mit Sicherheit ist anzunehmen, so MdL Dörr, daß unter diesen vom Sprengkommando eingesammelten Granaten auch früher schon Kampfgasgranaten waren. Immerhin ist derzeit jede dritte bei Kehr gefundene Granate ,,kampfstoffverdächtig", wie die Behörden vorsichtig formulieren. Warum sollte dieses Verhältnis früher anders gewesen sein?

Das aber würde, so Kritiker,, die skandalträchtige Folgerung zulassen, daß die rheinland-pfälzischen Munitionsräumer jahrzehntelang völlig unbedarft mit Kampfstoffmunition hantiert haben, ohne auch nur zu ahnen, in welche Gefahr sie und andere dadurch gerieten: Gemessen am teilweise grotesken Sicherheitsaufwand, der zur Zeit bei der Munitionsräumung auf dem früheren Werksgelände betrieben wird, erscheine der frühere legere Umgang mit der Hallschlager Munition vielen Beobachtern nachgerade unverständlich.

Unwahrheiten"

"Für wie dumm halten Landesbehörden eigentlich die Öffentlichkeit und die Hallschlager Bauern?" fragte sich auch der Grüne Gunther Heerwagen, der mit seinen Recherchen im Jahr 1988 die Behörden wegen der Altlast Kehr auf Trab brachte. Heerwagen: Warum müssen sich die Behörden selbst durch offenbare Unwahrheiten so blamieren und dann widerlegen lassen?"

Daß die Landwirte, wenn sie Granaten gefunden hatten, diese möglicherweise dem Zweiten Weltkrieg zuordneten, will Heerwagen nicht bestreiten. Aber die ,,Experten" vom Sprengkommando hätten doch erkennen müssen, daß es sich in Wahrheit um Munition aus dem Ersten Weltkrieg und möglicherweise um Gasgranaten handelte.

Inzwischen erklärte die Mainzer Landesregierung, daß sie ,,beabsichtigt, auch das Gelände außerhalb der ehemaligen Munitionsfabrik absuchen zu lassen. Wegen der Größe des in Betracht kommenden Gebietes kann dies jedoch nur unter Mithilfe von Privatfirmen geschehen."