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Gunther Heerwagen 54587 Birgel

Hauptstraße 32

Tel. 06597-3665

Fax -4896

Für

Landtagsfraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN, z.H. Dietmar Rieth MdL,

Landesvorstand Bündnis 90/DIE GRÜNEN, z.H. Frau Roswitha Biwer,

 

 

Kurzgutachten

Betr.: Besichtigung des Kampfmittelräumdienstlagers Helenenberg bei Welschbillig und Beurteilung der Unfallursache am 19.8.96

Sehr geehrte Damen und Herren!

Am 21.8.1996 besichtigte ich mit Ihnen, Presse- sowie Behördenvertretern unter Leitung des Staatssekretärs Ernst Theilen das Lager in dem am 19. dieses Monats gegen 16.30 Uhr mehrere Phosphorgranaten durch Selbstentzündung in Brand geraten waren.

Das Lager liegt in einem Wald.

Die Führung und Fragenbeantwortung als verantwortlicher "Fachkundiger" hatte der Technische Einsatzleiter des Kampfmittelräumdienstes Horst Lenz übernommen.

Die eigentliche Brandstelle wurde nicht besichtigt, die Brandspuren an der mir bekannten Stelle sind nach Augenschein offensichtlich zwischenzeitlich beseitigt worden.

Vorgezeigte Phosphorgranaten sind auf einer Betonplatte in mit Quarzsand gefüllten Holzkisten verpackt. Diese Holzkisten zeigten keine Spuren von Feuchtigkeitseinwirkung, das heißt keinerlei Verquellungen. Der Sand erschien optisch ausgetrocknet.

Es hatte darüberhinaus bis zum Unfalltag wochenlang keinen nennenswerten Niederschlag gegeben. Die Tagestemperaturwerte erreichten 30 Grad im Schatten.

Weitere Phosphorgranaten sind in offenen sandgefüllten Kisten in alten, waagrecht halb vergrabenen, Blechfässern untergebracht. Vor diesen stehen senkrecht lose die Deckel.

Als Herr Lenz einen dieser Deckel entfernte, war die jahrelange extreme Trockenheit des Sandes in der Kiste und auf der Faßwandung deutlich ersichtlich.

Auf meine Vorhaltungen der falschen Lagerung und Beschreibung des Sachverhaltes wurde bei Anwesenheit zahlreicher benennbarer Zeugen kein Widerspruch laut. Es seien nur Holzkisten zu bekommen gewesen...

Gegenüber der Faßöffnungen ist eine etwa 50 Zentimeter hohe Palisade aus Kartuschenhülsen und außenseitig eine etwas niedrigere Erdanschüttung. Im Abstand von etwa weiteren drei Metern lagern mehrere mit Sprengstoff gefüllte, mehrere Zentner schwere, Bomben.

Im Abstand von weiteren fünf Metern befinden sich Stapel mit Munition und weitere Bomben dicht an dicht.

Insgesamt ist mit einem Munitionsgewicht von etwa 100 Tonnen im Lager zu rechnen.

Kurze Zeit später befragte ich Herrn Lenz nach der Wasserversorgung des Lagers. Die Antwort war, der Leitungsquerschnitt der Wasserversorgung ermögliche gerade das Kaffee kochen. Es seien auf dem Gelände keine weiteren Wasserlösch- oder Entnahmevorrichtungen installiert.

Stellungnahme unter Bezug auf die Richtlinien der Berufsgenossenschaft der chemischen Industrie und Dienstvorschriften in anderen Bundesländern.

5.4.2 "Lager im Freien sind mit Wällen, Schutzmauern oder dergleichen zu versehen"

5.5.1 "Munition ist sorgfältig zu stapeln, damit sie nicht rutschen kann und die Stapel nicht einstürzen."

5.5.2 "In Lagern und in einem Umkreis von 25 Metern dürfen sich keine brennbaren Gegenstände befinden (z.B. leere Kisten oder andere Packmaterialien)"

Das Lager entspricht nicht im Entferntesten diesen Forderungen und liegt überdies noch im Wald unter hohen Bäumen, von denen aufgrund ihres Alters, herabfallende Äste Schäden anrichten würden bezw. Granatenstapel umwerfen könnten. Darüberhinaus besteht hohes Risiko für Blitzeinschlag.

Das wohl jahrelange nichtfachmännische Lagern von Phosphorgranaten in brennbarem Material (Holzkisten) in nicht ständig feuchtgehaltenem Sand ist durchaus als fahrlässig zu bezeichnen. Bei Luftzutritt, der nur durch die Feuchtigkeit des Sandes auszuschließen oder wirksam zu vermindern ist, entzündet sich, bei Zutritt des Oxidators Sauerstoff, der Phosphor, wobei schon an feuchter Luft eine fortschreitende Erwärmung eintritt und toxische phosphorische Säure entsteht.

Bei Temperaturen von ca. 50 Grad, die in grün gestrichenen oder unbehandelten Holzkisten möglicherweise durch Außeneinwirkung am heißesten Tag dieses Jahres bei oberirdischer Lagerung erreicht werden konnten, entzündet sich Phosphor selbst. Brände von Phosphor sind nur durch luftabsperrende Maßnahmen zu löschen oder vor der Entstehung zu unterbinden.

Eine Lagerung in, bei der Bundeswehr kostenlos oder kostengünstig erhältlichen sogenannten Treibladungsbehältern, die sogar auf Druckdichtigkeit prüfbar sind, wäre druck- und somit luftdichte Lagerung einfach möglich gewesen.

Auch eine sachgerechte Lagerung unterirdisch, bei ständig aufrechterhaltener Erdfeuchte, hätte durch den Luftabschluß eine Selbstentzündung unzweifelhaft sicher unterbunden.

Die Selbstentzündung der Granaten ist durch unsachgemäße Lagerung und der Fahrlässigkeit in Bezug auf die Vermeidung von Luftzutritt entstanden und wäre eindeutig vermeidbar gewesen. Der Brand am 19.8.96 war somit kein unabwendbarer "Unfall", sondern kann als unabdingbar folgendes, bei Eintreten geeigneter Umstände (Undichtigkeit, Außenwärme sowie Luftzutritt), sozusagen vorprogrammiert eintretendes Ereignis betrachtet werden. (Zeitzünder)

Besonders die dichte Lagerung von brennbaren Materialien (Phosphorgranaten in Holzkisten) und die ohne ausreichenden Abstand nebeneinander liegenden Bomben im Wald hätten in einem ausgedehnterem Brandfalle zur "Massendetonation" durch die "Detonationsstoßwirkung" der ersten größeren explosiven Umsetzung geführt. Diese hätte bei der dort gelagerten Sprengstoffmenge zur Umsetzung der seit 1983 gelagerten ca. 100 Kilogramm des Kampfstoffes "Clark" geführt.

In der Literatur wird die toxische Dosis von Clark I mit 0,05 mg/Kubikmeter (Schädigung) und 0,5 mg/Kubikmeter (Schmerzhafte Schädigung) angegeben. Hochtoxisches Lungen-, Haut- und Zentralnervensystemgift.

Verhindert wurde diese Katastrophe ausschließlich durch die, nach den Worten Herrn Staatssekretär Theilen, ansich vorschriftswidrig durchgeführten und für ihn lebensgefährlichen Löschmaßnahmen des Herrn Horst Lenz, der zunächst als verantwortlicher Fachkundiger vermeidbar, durch Unterlassen der Einleitung von angebrachten Maßnahmen, den Brand somit, unwiderlegbar selbst, zumindestens fahrlässig verursacht hatte.

Es ist weiterhin bedenklich, daß der Technische Einsatzleiter als letztlich verantwortlicher "Fachkundiger" das Lager in seinem Zustand über Jahre, trotz vorauszusetzender besserer Erkenntnis, weiter betrieben hat.

Unverantwortlich ist die über Jahre erfolgte Anhäufung von Munition bis zur Fundmenge zweier Jahre in Gesamt-Rheinland-Pfalz, weil Personal mangelt und zu wenig Möglichkeit besteht auf dem Truppenübungsplatz in Baumholder zu sprengen.

Der "Fachkundige" hätte bereits vor Jahren die Behörde aus Sicherheitsgründen zur Schließung des Lagers oder zumindestens zu der drastischen Änderung der fachlich unhaltbaren Zustände zwingen müssen.

Bei einer Lagermenge von bis zu 10 Tonnen reinem Sprengstoff sind laut Berufsgenossenschaft der chemische Industrie, (die kein Kontrollrecht in Helenenberg hat!) die Abstände der Lager und Arbeitsplätze von Wohngebäuden und öffentlichen Verkehrswegen in Metern: "geringe Verkehrsdichte" : 275 bis 478 Meter,

"mit mehr als geringer Verkehrsdichte" : 360 bis 485 Meter

Bei größeren Mengen wachsen die erforderlichen Abstände auf über einen Kilometer! Lagerung Chemischer Kampfstoffe würden noch größere Abstände erforderlich machen!

 

Birgel, den 22.8.1996

 

 

Gunther Heerwagen